Es ist immer das Gleiche: Aus dem Verhalten der Bundesregierung gegenüber den Opfern der Nazis spricht die reine Missachtung. Stets behauptet die Regierung, es sei doch eigentlich alles schon getan, alle Opfer angemessen entschädigt, und überhaupt alles schon so lange her.
Ich habe vor kurzem eine erneute Kleine Anfrage an die Bundesregierung gestellt, und die Antwort, die vor wenigen Tagen eintraf, spricht wieder Bände: Deutschland habe sich – ZITAT – „nach Kräften und mit Erfolg bemüht, das von den Nationalsozialisten begangene Unrecht zu entschädigen“, wird behauptet. Das ist glatt gelogen; und in dieser Logik werden jene NS-Opfer, die heute keinen Pfennig erhalten haben, einfach ausgeblendet und allenfalls als Störenfriede abgetan.
Die Klage, die vor dem Internationalen Gerichtshof angestrengt wurde, ist faktisch eine Klage gegen die NS-Opfer. Das muss man sich mal vorstellen: Der deutsche Staat, in dessen Namen deutsche Soldaten unsägliche Gräuel begangen haben, zieht gegen Überlebende dieses Terrors vor Gericht. Bei so viel Zynismus bleibt einem beinahe die Spucke weg.
Die Bundesregierung beruft sich auf ein Globalabkommen mit Italien, das 1961 40 Millionen D-Mark erhalten hat. Abgesehen davon, dass dieser Betrag angesichts der grausigen Verbrechen lächerlich gering ist, war er ausschließlich zur Entschädigung von sogenannten „NS-typischen“ Verbrechen gedacht. Damit ist etwa die Verfolgung und Ermordung von Juden gemeint. Die Verschleppung von Menschen zur Zwangsarbeit, die Ermordung Tausender Zivilisten im Rahmen von sog. Vergeltungs- und Abschreckungsaktionen zählten hier nicht darunter, obwohl sie nicht weniger brutal waren.
Liebe Freundinnen und Freunde,
gerade in Oberitalien hat es grausame Massaker gegeben. Hier war der Widerstand der Partisanen, die gegen den Faschismus kämpften, besonders stark. Die deutsche Führung hatte sich entschlossen, wie so häufig, sich dafür an der Zivilbevölkerung zu rächen. Ich will nur einen Fall ansprechen: Am 29. Juni 1944 stürmten Soldaten der Division „Hermann Göring” die Ortschaft Civitella, rund 70 Kilometer südlich von Florenz. Erst erschossen die Bewohner der Bauernhäuser am Dorfrand, danach trieben sie die anderen Bewohner zusammen, steckte ihre Häuser in Brand. Am Schluss brachten sie 207 Menschen um, darunter Frauen, Kinder, den Dorfpfarrer – die meisten per Genickschuss.
Der oberste Gerichtshof Italiens hat die BRD deswegen im Jahr 2008 zu Entschädigung verurteilt. Es war nicht das erste derartige Urteil – doch die Bundesregierung missachtet sie alle. Sie will einfach nicht zahlen, sie bestreitet den Anspruch der Überlebenden, Witwen und Waisen auf eine Entschädigung.
In Italien sind gegenwärtig 50 ähnliche Verfahren anhängig. Zuletzt hat das Militärgericht Verona den Opfern eines Massakers zwischen 40.000 und 145.000 Euro zugesprochen. Darunter waren auch Kinder im Alter von 3, 4 und 7 Jahren. Die Regierung bleibt stur: ZITAT „Die Bundesregierung vertritt auch in diesem Verfahren die Position, dass die Klage gegen die Bundesrepublik Deutschland gegen den Grundsatz der Staatenimmunität verstößt“, heißt es in der Antwort auf die Kleine Anfrage.
Staatenimmunität? Was soll das heißen? Da haben deutsche Soldaten, im Auftrag des deutschen Oberkommandos und des Deutschen Reiches, Kinder ermordet, und die Bundesregierung will dafür Immunität. Sie bestreitet die moralische Verpflichtung zur Entschädigung, sie ficht die Gerichtsurteile an und lehnt es strikt ab, außergerichtliche Einigungen herbeizuführen – wer sich so verhält, soll uns nicht vorgaukeln, die Lehren aus dem Faschismus gezogen zu haben!
Es ist das gleiche wie immer mit der Entschädigungsfrage: Noch nie hat die BRD bezahlt, weil sie ihre moralische Pflicht dazu eingesehen hätte. Sie hat immer nur gezahlt, wenn der politische Druck groß genug war. Deshalb begrüße ich jede Initiative, die dazu beiträgt, diesen Druck aufrecht zu erhalten, und zwar egal, wie das Verfahren in Den Haag ausgeht.
Denn unsere Forderung und die Forderung der NS-Opfer in Griechenland und Italien ist berechtigt: Deutschland muss zahlen!