Rede zu TOP 17 der 165. Sitzung des 17. Deutschen Bundestages, Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Vereinfachung des Austauschs von Informationen und Erkenntnissen zwischen den Strafverfolgungsbehörden auf 17/5096
Wie so oft bei grundrechtsrelevanten Fragen beruft sich die Bundesregierung auf einen EU-Rahmenbeschluss. Die Methode ist immer die gleiche: Die Bundesregierung drängt auf der Ebene des EU-Rates, wo es keine demokratisch-parlamentarische Kontrolle gibt, auf Beschlüsse, um sie dann dem Bundestag vorzulegen. Das Parlament kann sie dann nur noch abnicken, wenn es nicht den Konflikt mit der EU riskieren will. Das ist Grundrechteabbau auf supranationalem Niveau, zu dem wir keine Zustimmung erteilen.
Die geforderten Änderungen im BKA-Gesetz, dem Bundespolizeigesetz und einer Reihe weiterer Gesetze zielen darauf, aus der EU einen großen Datenraum zu machen. Wenn eine ausländische Polizei bei einer deutschen Polizeistelle nach Daten fragt, sollen die gleichen Regeln gelten wie bei Anfragen einer Polizeistelle aus einem deutschen Bundesland. In der Gesetzesbegründung der Bundesregierung heißt es, dieser Rahmenbeschluss sei „der erste vom Rat verabschiedete Rechtsakt zur Umsetzung des sogenannten Grundsatzes der Verfügbarkeit.“ Was nicht da steht, ist, dass dieser Grundsatz hochproblematisch ist, weil er im Kern besagt: Sämtliche Daten, die einmal erhoben worden sind, sollen zu jedem Zeitpunkt von jeder Stelle in Europa abgefragt werden können. Mit Datenschutz hat das nichts zu tun.
Natürlich sind viele Beispiele denkbar, in denen etwa die französische Polizei bei den deutschen Kollegen Daten anfordert und diese auch kriegen soll, gerade im Bereich der Strafverfolgung. Aber das ist auch jetzt schon möglich, dazu gibt es schon längst die notwendigen Rechtsgrundlagen. Die Mitgliedstaaten sind bereits zu gegenseitiger Hilfe verpflichtet. Aber: Bislang konnten sie im nationalen Recht festlegen, wie diese Hilfe konkret geleistet wird. Das soll jetzt aufgegeben werden, in Zukunft wird das „harmonisiert“. Damit wird aber auch die Möglichkeit, Hilfsersuchen zu prüfen, um sie unter Umständen auch abzulehnen, bis auf wenige Ausnahmen ausgeschlossen. Bisher musste man begründen, warum Daten ausgetauscht wurden, in Zukunft muss man begründen, wenn ein Austausch einmal nicht durchgeführt wird. Der Austausch wird also zur Regel, eine Prüfung ist praktisch nicht vorgesehen und in der vorgeschriebenen Eile des Datenaustausches – acht Stunden in sogenannte Eilfällen, wobei der Begriff Eilfall nicht definiert wird – auch gar nicht möglich. Wir müssen jetzt die Daten liefern, wenn wir nicht konkrete Zweifel daran anmelden können, dass die Partnerbehörden hier unverhältnismäßig vorgehen oder rechtswidrig handeln.
Die voraussehbare Folge ist, dass noch mehr personenbezogene Daten frei durch europäische Polizeidatenbanken flottieren. Und die sind keineswegs alle gleich sicher, so dass in Zukunft noch öfter sensible persönliche Daten von Unbefugten eingesehen werden können.
Dabei geht es ja keineswegs nur um Straftäter. Die Datenübertragung als Regelsatz umfasst auch den Bereich der „Verhütung von Straftaten“. Das ist ein weites Feld, da ist vieles Interpretationssache und Spekulation, und deshalb wäre gerade hier eine Einzelfallprüfung datenschutzrechtliche Pflicht. Aber das wird preisgegeben. Wir werden es erleben, dass in Zukunft noch mehr und noch schneller die Daten beispielsweise von Aktivisten gegen Wirtschaftsgipfel über die Grenzen ausgetauscht werden – mit der Begründung, die Demonstranten könnten ja Straftaten begehen.
Erinnern möchte ich auch daran, dass es in mindestens drei Ländern der Europäischen Union in der allerjüngsten Vergangenheit Foltergefängnisse gegeben hat: In Rumänien, Polen und Litauen hat die CIA vermeintliche Terrorverdächtige heimlich festgehalten und misshandelt, ganz offenbar mit Zustimmung der jeweiligen Regierungen und mit Nutzung polizeilicher Daten über die Festgenommenen. Solange so etwas in Europa möglich ist, dürfen die Datenbanken der Polizei nicht als frei austauschbare Ware gehandelt werden. Ich möchte außerdem daran erinnern, dass es in Europa noch längst keinen gemeinsamen Datenschutzstandard gibt. Da sollten sich solche Rahmenbeschlüsse von selbst verbieten. Der Datenschutz, aber auch Grund- und Menschenrechtsstandards sprechen gegen die Umsetzung dieses Rahmenbeschlusses.
(Die Rede wurde nach Vereinbarung zwischen den Fraktionen zu Protokoll gegeben.)