Mit der Veröffentlichung »Bundesdeutsche Flüchtlingspolitik und ihre tödlichen Folgen« zeigt die Antirassistische Initiative (ARI) Jahr für Jahr das Schicksal derjenigen, »die ohne die rassistische Sondergesetzgebung der BRD oder den Rassismus der Gesellschaft unversehrt überlebt hätten«. Die Dokumentation macht in ihrer 19. Auflage auf 6000 Menschen aufmerksam, die seit 1993 beim Versuch des Grenzübertritts oder durch Zwangsmaßnahmen bei der Abschiebung oder in Abschiebehaft verletzt oder getötet wurden oder sich das Leben genommen haben. Für den genannten Zeitraum wurden von der ARI 405 Flüchtlinge gezählt, die in Folge staatlicher Maßnahmen ihr Leben verloren haben. 88 sind im gleichen Zeitraum unter anderem durch rassistische Übergriffe getötet worden.
Ein Schwerpunkt der diesjährigen Dokumentation widmet sich der rigiden Abschiebepolitik gegen Roma aus dem Kosovo und anderen Nachfolgestaaten Jugoslawiens. Flüchtlinge erwarte im Kosovo »im wahrsten Sinne des Wortes ein Leben am Rande der Müllkippe«, so die Initiative. »Massive Diskriminierungen, soziale Ausgrenzung und rassistisch motivierte Angriffe prägen ihren Alltag.« Die Lebensbedingungen der Roma im Kosovo würden von der Bundesregierung in zynischer Weise ausgeblendet. Für die Folgen dieser Ignoranz liefert die Dokumentation eine Reihe schockierender Beispiele, die bis ins Jahr 2006 zurückreichen.
Im April 2011 trennte die Ausländerbehörde des niedersächsischen Kreises Harburg die Familie Begani. Während der Familienvater mit Tuberkulose im Krankenhaus lag, wurden seine Frau und die vier Kinder in den Kosovo abgeschoben. Die Kinder im Alter von ein bis fünf Jahren sind alle in Deutschland geboren. Der Mann wurde nach Ende der Behandlung abgeschoben, obwohl er weiter behandlungsbedürftig ist. Bei einem Besuch von Unterstützern aus Deutschland im Kosovo zeigte er wenige Wochen später Narben an Hals und Arm. Er war zusammengeschlagen worden, nachdem ein rassistischer Mob das Haus der Familie angegriffen hatte.
Im Oktober vergangenen Jahres starb die Romni Snezana X. – trotz ihrer schweren Krebserkrankung war ihr eine Abschiebung angedroht worden. Sie reiste daraufhin mit ihren drei Kindern »freiwillig« nach Serbien aus. Eine Klinikbehandlung konnte sie sich dort nicht leisten. Die zuständige Ausländerbehörde behauptete, von der Erkrankung nichts gewußt zu haben – außerdem sei die Ausreise ja freiwillig erfolgt.
Schon die ständige Drohung der Abschiebung macht krank. Das zeigt das Beispiel der seit 20 Jahren in Deutschland lebenden Romni Servete L. Der ununterbrochene Druck hat verhindert, daß sie sich von ihren Kriegstraumata erholen konnte, andauernde Depressionen und Panikattacken waren die Folge. Schließlich wurde sie herzkrank. Die Ausländerbehörde setzte dennoch die Abschiebung durch. Nach wenigen Wochen erreichte ein Unterstützerkreis um die Forschungsgesellschaft Flucht und Migration im März 2011 die Rückkehr von Frau L. – doch statt einer Aufenthaltserlaubnis erhielt sie wieder nur eine Duldung für vier Monate.
Die krankmachenden Folgen von Abschiebungen in den Kosovo werden auch in einer aktuellen Studie »Stilles Leid« veranschaulicht, die vom UN-Kinderhilfswerk, UNICEF Kosovo, veröffentlicht wurde. Nach den Erhebungen leidet fast die Hälfte aller Minderjährigen nach ihrer Abschiebung unter Depressionen, wiederum die Hälfte dieser Kranken ist selbstmordgefährdet. Jedes dritte Kind zwischen sechs und 14 Jahren leidet unter einer Posttraumatischen Belastungsstörung. Auch das gehört zu den Folgen deutscher Flüchtlingspolitik.