Der Bundesrat berät am Freitag in erster Lesung einen Gesetzentwurf des Landes Niedersachsen über eine Bleiberechtsregelung für sogenannte geduldete Ausländer. Auch aus Schleswig-Holsein liegt ein Entwurf in gleicher Sache vor. 87000 Menschen leben derzeit in Deutschland, die jeweils immer wieder nur für wenige Wochen oder Monate geduldet sind und keine Aussicht auf eine reguläre Aufenthaltserlaubnis haben. 60 Prozent der Betroffenen geht das schon seit über sechs Jahren so.
Auf den ersten Blick zahlt sich mit den Gesetzesentwürfen aus, daß zahlreiche Initiativen seit Jahren beharrlich eine dauerhafte Bleiberechtslösung fordern. Inhaltlich sind beide Vorschläge allerdings enttäuschend. Sie stellen nicht humanitäre Überlegungen, sondern ökonomische Nützlichkeitserwägungen in den Vordergrund. Nach dem Prinzip des »Förderns und Forderns« sollen die Geduldeten mit dem Nachweis gelungener Integrationsbemühungen in Vorleistung treten, um dann ein Aufenthaltsrecht zu erhalten. Zentral sind dabei immer der Nachweis der eigenständigen Lebensunterhaltssicherung, des Spracherwerbs und der Unterstützung der Kinder beim Schulbesuch. Auch ehrenamtliches Engagement soll berücksichtigt werden. Mit anderen Worten: Gesucht sind Menschen, die trotz widrigster Bedingungen in den ersten Jahren ihres Aufenthaltes – faktisches Arbeitsverbot, Residenzpflicht, Sammelunterkünfte, eingeschränkte Sozial- und Gesundheitsleistungen – alles auf sich nehmen, um ein irgendwie normales Leben führen zu können. Wie sie aber unter solchen Umständen in der Lage sein sollen, eine gut bezahlte Arbeit zu finden, darauf gehen die Gesetzentwürfe der Länder nicht ein.
Schleswig-Holstein fordert eine »überwiegend« selbständige Lebensunterhaltssicherung, Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann (CDU) gar eine »vollkommen« selbständige. Dazu sollen die Betroffenen zwei Jahre Zeit haben, in der ihr Aufenthalt weiterhin geduldet wird. Immerhin sollen sie dabei Zugang zu Deutschkursen erhalten, ein Novum im Umgang mit Geduldeten. Doch ohne eigenständige Lebensunterhaltssicherung und bestandenen Sprachtest droht ihnen am Ende die Abschiebung. Und Schünemanns Vorstoß hat weitere Haken: Die neue Regelung soll nur für jene gelten, die vollständige Papiere vorlegen bzw. bei der Beschaffung neuer Pässe mitwirken. Das kann für die Betroffenen nach hinten losgehen, denn fehlende Papiere sind für viele die letzte Sicherheit, nicht in ihre von Armut und Bürgerkrieg zerrütteten Länder abgeschoben zu werden. Besorgen sie die Dokumente, überstehen dann aber die »Probezeit« von zwei Jahren nicht, ist ihr einziges Abschiebehindernis weggefallen. Genau das dürfte Schünemanns Kalkül sein: Wer sich der Neuregelung verweigert, kann als Rechtsbrecher hingestellt werden, der an seiner Lage selbst schuld ist.
Der niedersächsische Flüchtlingsrat fürchtet, daß »nur ein Bruchteil der theoretisch Anspruchsberechtigten tatsächlich ein Aufenthaltsrecht erhalten würde«. Er verweist auf eine Regelung für besonders gut integrierte Jugendliche, die Mitte 2011 in Kraft trat. Von theoretisch 5000 Anspruchsberechtigten hatten Ende des Jahres knapp 200 einen Aufenthaltstitel.
erschien: junge Welt 14.Juni 2012