Sehr geehrte Damen und Herren,
vor einem halben Jahr hat DIE LINKE einen Antrag eingebracht, der fordert, dass die Renten für NS-Opfer, die im Ghetto geschuftet haben, rückwirkend ab 1997 ausbezahlt werden sollen. So hatte es der Bundestag vor fast zehn Jahren beschlossen, so wurde es aber nicht umgesetzt. Verantwortlich dafür waren zu enge Auslegungen in der Gesetzesanwendung. Sie kennen die Stichwörter: Die Arbeit im Ghetto erbrachte nur dann Rentenansprüche, wenn sie freiwillig erfolgte und es ein Entgelt gab. Das haben die Rentenversicherungsträger nach unseren heutigen Maßstäben geprüft, anstatt nach den konkreten Bedingungen im Ghetto. Folge war die massenhafte Ablehnung von Rentenanträgen, bis der Bundesgerichtshof endlich ein verbindliches Urteil fällte, um das geradezurücken. Das war 2009, und weil es im Sozialrecht eine maximale Rückwirkungszeit von vier Jahren gibt, erhalten die allermeisten NS-Opfer ihre Rente erst mit Wirkung ab 2005 – und nicht schon ab 1997, wie es der Bundestag einmal einstimmig beschlossen hatte.
Anders ausgedrückt: Weil es auf unserer Seite – bei den Rententrägern, den Gerichten und auch im Parlament – Fehler gegeben hat, müssen die NS-Opfer auf einen Teil der zugesagten Gelder verzichten. Tausende sind schon gestorben, ohne je einen Cent Rente erhalten zu haben.
Um gutzumachen, was noch gutzumachen geht, hat DIE LINKE wie erwähnt vor einem halben Jahr einen Antrag eingebracht. Jetzt ziehen Grüne und SPD mit einem eigenen Antrag nach, der inhaltlich nichts anderes fordert. Einerseits freut es mich, dass sie unsere Stoßrichtung teilen, andererseits frage ich mich, warum sie ihr eigenes Süppchen kochen müssen. Aber immerhin: Wichtig für DIE LINKE ist, dass die noch lebenden ehemaligen Ghetto-Insassen schnellstmöglich kriegen, was wir ihnen zugesagt hatten.
Wohlgemerkt: Was wir alle ihnen zugesagt hatten. Das gilt auch für CDU, CSU und FDP, die damals ebenfalls für das Ghetto-Rentengesetz gestimmt haben und jetzt so tun, als ginge sie das nichts mehr an. Seit Monaten verzögern die Regierungsfraktionen im Ausschuss die Beratung unseres Antrages, laden erst zu Berichterstattergesprächen ein und dann wieder aus, um am Ende zu erklären, sie würden die Hände in den Schoß legen und sähen keinen Handlungsbedarf. Das ist wirklich beschämend und zeigt, wie diese Parteien mit NS-Opfern umgehen, wenn es keine starke Lobby gibt, die sich für sie starkmacht.
In den letzten Wochen wurde viel mit Zahlen jongliert. Um das mal auf den Punkt zu bringen: Wir sprechen hier von etwas über 20.000 NS-Opfern, denen bisher siebeneinhalb Jahre Rentenzahlungen vorenthalten worden sind. Die Union hat, hinter den Kulissen, argumentiert, es brauche keine Nachzahlung, weil ja durch den späteren Rentenbeginn der Zugangsfaktor erhöht worden sei, die monatlichen Zahlungen also höher ausfallen. Das stimmt, ist aber kein Argument gegen unseren Antrag. Das können Sie leicht nachrechnen, selbst die Deutsche Rentenversicherung geht davon aus, das die Betroffenen, wenn unser Antrag verabschiedet würde, eine Nachzahlung von im Durchschnitt 7000 Euro erhalten würden. Selbst wenn – was wir nicht wollen – auf eine Günstigerklausel verzichtet würde: Für die hochbetagten Leute sind diese 7000 Euro unter Umständen entscheidend, um sich einen Rollstuhl zu kaufen, ihre Wohnung behindertengerecht umzubauen, eine Kur oder auch eine letzte Reise in ihre alte Heimat zu finanzieren. Es ist schlicht und einfach Unrecht, ihnen dieses Geld vorzuenthalten.
Ich habe schon gesagt: Für DIE LINKE ist wichtig, dass die NS-Opfer schnellstmöglich zu ihrem Recht kommen. Ob das mit Hilfe unseres Antrages oder des SPD-Grünen-Antrages, ob mit Variante A oder B passiert, ist für uns zweitrangig. Den Kollegen von den anderen Oppositionsfraktionen muss man aber schon vorwerfen, dass sie ihren Antrag erst jetzt, unmittelbar vor der Sommerpause einreichen. Das verzögert den ganzen Entscheidungsprozess mindestens auf den Herbst, womöglich auf den Winter. Bis dahin werden wieder einige Hundert der betroffenen NS-Opfer versterben. Ich appelliere deswegen an alle hier im Haus: Provozieren Sie keine weiteren Verzögerungen!