Den von den Nazis ermordeten Sinti und Roma ein Mahnmal zu widmen, ist zweifellos ein überfälliger Schritt. Eigentlich müßte dem Mahnmal gleich noch eines folgen, das die Diskriminierung der Sinti und Roma durch die BRD thematisiert. Denn die ist bis heute nicht beendet.
Solche Mahnmale sind stets multifunktional: Sie dienen nicht nur der notwendigen Erinnerung an die Ermordeten, sondern sie dienen auch jenen, die sie errichten lassen, als Alibi einer gelungenen »Aufarbeitung« der Geschichte und Nachweis einer sauberen antifaschistischen Weste. Es hat eine Weile gedauert, bis die BRD das verstanden hat, aber seither boomt der Gedenksektor.
Sinti und Roma, die von den Nazis ermordet wurden, bekamen jetzt ein Mahnmal. Sinti und Roma, die von den Nazis nicht erwischt wurden, bekommen einen Fußtritt. Die Heuchelei des Gedenkens springt ins Auge, wenn man sich ansieht, wie gerade wieder dieser Tage antiziganistische Ressentiments geschürt werden. Einige jener Politiker, die gestern noch mit Trauermiene einträchtig um das Mahnmal herumstanden, fahren heute damit fort, Sinti und Roma zu latenten Kriminellen zu erklären. Weil, wie schon in den Vorjahren, vor Beginn des Winters aus Serbien und Mazedonien einige tausend Flüchtlinge – fast alle Roma – hierzulande Schutz suchen, wettern die führenden Politiker dieses Landes gegen den angeblichen Asylmißbrauch. In der Tatsache, daß Roma in ihren Herkunftsländern massiv diskriminiert werden, sehen sie keinen legitimen Fluchtgrund. Sie sehen auch keine Verantwortung, zum Abbau der Diskriminierung beizutragen, im Gegenteil: Sie schüren diese noch, indem sie die serbische und mazedonische Regierung unter Druck setzen, »ihre« Roma an der Ausreise zu hindern. Wenn ihnen das nicht gelingt, so die Drohung, wird eben die Visafreiheit für alle Serben und Mazedonier abgeschafft. Der Tenor ist der gleiche wie 1991, als schon einmal Roma dafür herhalten mußten, das Asylrecht einzuschränken. Die Stimmung gipfelte damals im Pogrom von Rostock-Lichtenhagen.
Der Mainstream in der deutschen Politik – womöglich auch in der deutschen Bevölkerung – erklärt Sinti und Roma zu einer in »Kerneuropa« unerwünschten Bevölkerungsgruppe. Sie werden als »Fremde« und als Bedrohung für unseren Wohlstand zurechtkonstruiert. Damit wird die ideologische Grundlage dafür gelegt, »Zigeuner« bei Bedarf erneut als Sündenböcke für jene Krisen, die das kapitalistische System produziert, zu präsentieren – und der Verfolgung preiszugeben.
Die Instrumentalisierbarkeit des Gedenkens macht nicht das Gedenken überflüssig. Es verdeutlicht nur, daß dessen wahrer Wert sich nicht in Feierstunden zeigt, sondern im konkreten Handeln. Das bleibt eine Herausforderung für Antirassisten.