Hessische Justizbehörden haben ein bundesweites Netzwerk zur Unterstützung von gefangenen Rechtsextremisten aufgedeckt. Erste konkrete Hinweise hätten sich nach Zellendurchsuchungen in den vergangenen Wochen ergeben, bestätigte Hessens Justizminister Jörg-Uwe Hahn (FDP) am Mittwoch einen Bericht in Bild. Verdächtige Gefangene seien verlegt worden. Der innerhalb der Haftanstalten streng hierarchisch aufgebaute Hilfsverein soll inhaftierte Neonazis und ihre Angehörigen finanziell unterstützt und Gefangene ideologisch geschult haben.
Kommuniziert wurde über Codes etwa in Kleinanzeigenteilen unverdächtiger Magazine. So warb der zur Zeit in der osthessischen JVA Hünfeld einsitzende und unter anderem wegen Tötung eines Obdachlosen einschlägig vorbestrafte Führer der Kasseler Nazikameradschaft »Sturm 18«, Bernd Tödter, in der Rockerzeitschrift Biker News vom Oktober 2012 für eine »AD Jail Crew (14er)«. Daß dieser Verein am 20. April 2012 – Adolf Hitlers Geburtstag – in der JVA Hünfeld gegründet wurde, ist ebenso als Hinweis auf dessen neofaschistische Ausrichtung zu lesen, wie die Aussage, Mitglied könne jeder werden, der für »die ›alten‹ Werte einsteht«. Zwischen einigen Rockerclubs und Neonazis ist eine von gemeinsamen geschäftlichen Interessen geprägte Mischszene entstanden. Zudem verfügen kriminelle Rockerbanden über effiziente Verbindungen in die Knäste.
Die Zeitung Neues Deutschland hatte im Februar über ein solches Netzwerk berichtet. Die Abgeordnete der Linken im sächsischen Landtag, Kerstin Köditz, fragte Mitte Februar in einer Kleinen Anfrage nach Erkenntnissen der Staatsregierung zur »Jail Crew«. »Keine« lautete die lapidare Antwort. Auch die Bundesregierung behauptete noch vor wenigen Tagen das Gleiche. In ihrer Anfang vergangener Woche vorgelegten Antwort auf eine kleine Anfrage der Linksfraktion zu »Rechtsextremer Betätigung im Strafvollzug« heißt es zwar, die rechtsextremistische Szene sei nach dem Verbot der »Hilfsgemeinschaft für nationale politische Gefangene und deren Angehörigen e.V.« (HNG) am 30. August 2011 durch das Bundesinnenministerium »weiterhin bestrebt, die Betreuung inhaftierter rechtsextremistischer Straftäter aufrechtzuerhalten«. Doch konkret nach entsprechenden Organisationen befragt, heißt es: »Die durch das Verbot der HNG entstandene organisatorische Lücke konnte durch andere rechtsextremistische Gefangenenhilfsorganisationen nicht geschlossen werden. Bislang konnte sich noch keine Nachfolge- oder Ersatzorganisation etablieren.«
Konnten die Bundesbehörden einschließlich des Verfassungsschutz tatsächlich eine neonazistische Gefangenenhilfe nicht erkennen, die selbst hessischen Gefängniswärtern ins Auge stach, oder hielten die Schlapphüte vielmehr ihre schützende Hand darüber? Nach einem Bericht der Süddeutschen Zeitung soll einer der Drahtzieher der »Jail Crew« im Dezember 2011 kurz nach Auffliegen des »NSU« dem hessischen Verfassungsschutz im Gegenzug für eine schnelle Haftentlassung angeboten haben, »Informationen über diverse Netzwerke« zu beschaffen. Von Seiten der Ermittler wurde damals die Glaubwürdigkeit des Neonazis bezweifelt, der behauptete, die beiden NSU-Terroristen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos im Jahr 2006 in Kassel vom Zug abgeholt zu haben. Möglicherweise ergab sich dennoch eine Zusammenarbeit zwischen dem kooperationswilligen Nazi und dem Geheimdienst.
erschien: junge Welt 11.4.2013