Dem, was die Herrschenden als »Staatsräson« ansehen, ist Karlsruhe prinzipiell aufgeschlossen. Deswegen beschränken sich die Verfassungsrichter fast immer auf ein Herumdoktern an Symptomen, um allzu schlimme Auswüchse zu kappen. Beispiele: Die Bundeswehr darf im Inland nicht so viel schießen, wie von CDU/CSU, SPD und Grünen im Jahr 2005 im Luftsicherheitsgesetz beschlossen – aber ein bißchen schon, jedenfalls ausnahmsweise. Die Vorratsdatenspeicherung aller Telefongespräche und Internetnutzungen wurde gekippt – aber nur in der weitreichenden Fassung, wie sie von der Großen Koalition eingebracht worden war. Variationen davon, so die Richter, seien durchaus drin. Und nun gilt also: Ein bißchen Antiterrordatei darf sein.
Für Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) und seinen Vorgänger Wolfgang Schäuble, der die Datei gemeinsam mit dem damaligen Koalitionspartner SPD ins Leben gerufen hatte, ist das Urteil dennoch eine Schlappe. Ihr Anspruch, möglichst alles über alle zu wissen, zu sammeln und für alle Sicherheitsbehörden frei verfügbar zu machen, wurde einmal mehr zurückgewiesen. Das gilt etwa für die Willkürlichkeit der Kriterien, die völlig unbescholtenen Bürger (in der Gesetzessprache: »Kontaktpersonen«) auf einmal in Terrornähe brachten. Karlsruhe stört sich an »mehrdeutigen und potenziell weiten Rechtsbegriffen«. So konnten bisher Personen, die Gruppierungen unterstützen, die ihrerseits Terrorgruppierungen unterstützen, ohne ihr Wissen um diese »Tatsachen« gespeichert werden. Das wurde gekippt, was zur Folge haben wird, daß die Zahl von jetzt rund 18000 Gespeicherten stark zurückgeht.
Und doch bleibt das Urteil hinter seiner selbst formulierten Feststellung eines »informationellen Trennungsprinzips« zurück, nicht nur, weil es die als verfassungswidrig erkannte Praxis ohne Not noch bis Ende 2014 erlaubt. Die Datei wird vor allem von Geheimdiensten gespeist, aber vor allem von der Polizei genutzt. Polizeibehörden kommen damit an geheimdienstlich gewonnene Erkenntnisse. Informationen aus Abhöraktionen, sagen die Richter nun, dürften nicht mehr »automatisch« übermittelt werden, sondern nur noch nach Einzelfallprüfung – eine Prüfung, die freilich nicht von Richtern, sondern von den wißbegierigen Behörden selbst vorgenommen werden darf. Der Datenschutzbeauftragte soll mindestens alle zwei Jahre prüfen, ob alles nach Recht und Ordnung vorgeht. Und wenn nicht? Dann steht das in seinem Bericht. Man ahnt, wie die Schlapphüte sich darüber schlapp lachen. Fazit: Beim Aufbau des Überwachungsstaates muß das Tempo gedrosselt werden, die Richtung bleibt.
erschien in junge Welt 25.4.2013