• Die UnterzeichnerInnen des Hamburger Appells sind gemeinsam der Ansicht, dass die kurdische Frage ausschließlich durch einen Dialog gelöst werden kann.
• Um den erneut zwischen der türkischen Regierung und Abdullah Öcalan sowie der PKK begonnenen Dialog zu fördern, der auch von der Europäischen Kommission und dem Europaparlament begrüßt wird, ist es notwendig die am Konflikt beteiligten politischen Akteure auch als solche anzuerkennen.
• Die PKK ohne Berücksichtigung ihrer politischen Ausrichtung und Dialogorientierung als terroristisch zu stigmatisieren, ist einem solchen Dialog hinderlich.
• Auch die Kriminalisierung kurdischer ExilpolitikerInnen und der PKK in Europa sind für einen Dialog sehr kontraproduktiv. Dadurch werden lediglich diejenigen Kräfte gefördert, die eine Annäherung der Konfliktparteien mit allen Mitteln verhindern wollen. Das wurde in besorgniserregender Weise Anfang Januar 2013 im Rahmen der politischen Hinrichtungen der kurdischen Politikerinnen Sakine Cansiz, Fidan Dogan und Leyla Saylemez erneut deutlich. Diese wurden Berichten zufolge offenbar durch den türkischen Geheimdienst und/oder den eines anderen Landes begangen.
• Der § 129 b ist verfassungswidrig. Durch ihn wird die Gewaltenteilung aufgehoben. Da das Bundes-ministerium der Justiz eine Verfolgungsermächtigung für Verfahren gemäß § 129 b erteilt, an die die Gerichte gebunden sind, entscheiden außenpolitische Interessen über eine etwaige Strafverfolgung. Dadurch ist politischer Willkür Tür und Tor geöffnet.
• Die Verurteilung des kurdischen Exilpolitikers Ali Ihsan Kitay im ersten in der Bundesrepublik zu Ende geführten § 129 b Prozess gegen KurdInnen vor dem OLG Hamburg (Mitte Februar 2013) ist ein einseitiges und falsches Signal in Richtung Türkei.
• Es ist positiv zu werten, dass das OLG Hamburg die Verletzung des Selbstbestimmungsrechts der KurdInnen sowie die anhaltenden staatlichen Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen bis hin zum Einsatz von Chemiewaffen (u.a. einen 1999 vom jetzigen Generalstabschef Necdet Özel befehligten Chemiewaffeneinsatz in Cukurca) in der Türkei als erwiesen ansieht und die Straflosigkeit der Täter aus den Reihen von Polizei und Militär kritisiert. Dass daraus in der mündlichen Urteilsbegründung allerdings keine Konsequenzen in Hinsicht auf die völkerrechtliche und juristische Einordnung und Wertung des Konflikts folgten, sehen wir als vergebene Chance und verantwor-tungslos.
Sollten sich die folgenden Aspekte der mündlichen Urteilsbegründung auch im schriftlichen Urteil, das in einigen Monaten zugestellt wird, wiederfinden, sehen und kritisieren wir das mit großer Sorge:
• Die seitens des OLG in der mündlichen Urteilsbegründung ausgesprochene Nichtaner-kennung der Anwendung des Artikels 1 Abs. 4 des 2. Zusatzprotokolls der Genfer Konventionen auf die PKK sehen wir als Fehler. Ähnlich wie dem ANC, den PalästinenserInnen und weiteren afrikanischen Befreiungsbewegungen sollte auch der PKK der Kombattantenstatus im Widerstand gegen anhaltendes Unrecht und Tyrannei zugestanden werden. Der Kombattantenstatus bedeutet, dass eine Bewegung als Konfliktpartei in einem bewaffneten Konflikt anerkannt wird, in dem beide Parteien Gewalt anwenden dürfen. In einem solchen Konflikt – also in einem Krieg – sind Tötungen erlaubt, wenn sie sich im Rahmen des humanitären Kriegsvölkerrechts bewegen. Die Unterdrückungspolitik der türkischen Regierungen ist seit Staatsgründung rassistisch motiviert und hat kolonialistische Ausmaße, wie auch im Verfahren seitens Ali Ihsan Kitay und der Verteidigung eindrücklich geschildert wurde. Zudem finden anhaltende systematische Angriffe auf die Zivilbevölkerung statt.
• Offenbar um die für ein § 129 b-Verfahren (Mitgliedschaft oder Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland) angemessene Beschäftigung mit der Situation in der Türkei sowie dem Völkerrecht zu umgehen, hat das OLG Hamburg die Ladung von Sachverständigen verweigert. Als Zeugen wurden lediglich vier Beamte des Bundeskriminalamtes (BKA) gehört, die ungenau und einseitig (asymmetrisch) ermittelt hatten und auf veraltetes Wissen zurückgriffen. Durch ein solches Vorgehen konnte eine Einschätzung der gesellschaftlichen Situation in der Türkei und der Handlungsmotive der politischen Akteure nicht stattfinden. Dies wäre jedoch die Voraussetzung gewesen, um die Handlungen der PKK bewerten und beurteilen zu können, wie es im § 129 b absurder Weise vorausgesetzt wird.
• Die in der mündlichen Urteilsbegründung vorgenommene Einordnung der Stadtguerillaorganisation Freiheitsfalken Kurdistans (TAK) als Unterorganisation der PKK widerspricht im Prozess vorgelegten Dokumenten sowie ExpertInnenwissen, den Einschätzungen führender PolitikerInnen und Studien wissenschaftlicher Stiftungen. Die PKK hat sich mehrfach von der TAK und deren Anschlagspraxis, bei der auch Zivilisten getötet werden, distanziert. Das Gericht begründete die Zuschreibung der TAK zur PKK lediglich anhand von Spekulationen. Eine solche Vorgehensweise widerspricht verantwor-tungsvollem Abwägen und der Unschuldsvermutung.
• Sollten sich die Wertungen des Gerichts in der schriftlichen Urteilsbegründung wiederfinden, kann dies nur als politisch motivierte Herangehensweise eines Gerichts jenseits rechtstaatlicher Normen gewertet werden.
• Sowohl im Verfahren wie in der mündlichen Urteilsbegründung wurde deutlich, dass das OLG Hamburg entsprechend der von der Bundesregierung vorgegebenen politischen Interessenlage, die die Motivation des Handelns der PKK auf „Mord und Totschlag“ gedeutet hat, ohne die politische Ausrichtung, Geschichte und Entwicklung der Politik der Organisation und die Situation in der Türkei in Betracht zu ziehen und zu würdigen. Das halten wir in Anbetracht der „Schwere“ des § 129b und gerade in einer sensiblen Dialogphase für verantwortungslos.
Wir setzen uns ein für:
• Die Unterstützung des Friedensdialogs zwischen VertreterInnen der türkischen Regierung, Abdullah Öcalan und VertreterInnen der PKK, durch eine Politik der Entspannung und des Dialogs mit den KurdInnen in der Bundesrepublik und Europa.
• Die Aufhebung der Verfolgungsermächtigungen gemäß § 129 b gegen kurdische ExilpolitikerInnen durch das Bundesministerium der Justiz.
• Die Beendigung der Kriminalisierung kurdischer ExilpolitikerInnen in der Bundesrepublik und Europa.
• Die Aufhebung des PKK-Verbots in der Bundesrepublik.
• Die Anerkennung der PKK als Konfliktpartei in einem bewaffneten Konflikt mit dem türkischen Staat und Militär, in dem beide Parteien gemäß „Humanitärem Kriegsvölkerrecht“ handeln können.
• Die Anerkennung der völkerrechtlichen Legitimität des Widerstands der PKK gemäß dem 2. Zusatzprotokoll Artikel 1 Absatz 4 der Genfer Konventionen.
• Die Abschaffung des § 129 b, der durch die ihm innewohnende Aufhebung der Gewaltenteilung verfassungswidrig ist. Da dass Bundesministerium der Justiz eine Verfolgungsermächtigung für Verfahren gemäß § 129 b erteilt, an die die Gerichte gebunden sind, entscheiden außenpolitische Interessen über eine etwaige Strafverfolgung. Dadurch ist politischer Willkür Tür und Tor geöffnet.
ErstunterzeichnerInnen:
Professor Dr. Norman Paech, Völkerrechtler, Hamburg
Rolf Becker, Schauspieler, ver.di Hamburg, FB 8, OVV (Ortsvereinsvorstand)
Heinz Jürgen Schneider, Rechtsanwalt, Hamburg
Britta Eder, Rechtsanwältin, Hamburg
Dr. Gerd Garweg, Arzt, Hamburg
Maria Garweg, Menschenrechtlerin, Hamburg
Cansu Özdemir, Abgeordnete der Hamburger Bürgerschaft, DIE LINKE
Christian Arndt, Pastor, Hamburg
Martin Dolzer, Soziologe, Hamburg
Wolfgang Struwe, Informationsstelle Kurdistan (isku), Hamburg
Antje Steinberg, Lehrerin GEW, Bremen
Anita Friedetzky, Lehrerin, GEW, Hamburg
Anja Flach, Autorin, Hamburg
Irfan Cüre, Journalist, Hamburg
Heidrun Dittrich, Mitglied des Bundestags (MdB) DIE LINKE, Seniorenpolitische Sprecherin
Andrej Hunko, MdB DIE LINKE, Mitglied der Parlamentarischen Versammlung des Europarats
Ulla Jelpke, MdB DIE LINKE, Innenpolitische Sprecherin
Peter Strutynski, Friedensforscher
Marion Padua, Stadträtin Nürnberg, Linke Liste
Heike Geisweid, Rechtsanwältin, Bochum
Prof. Dr. Armin Rieser, Bonn
Ali Atalan, Bundessprecher der BAG Frieden und internationale Politik DIE LINKE
Club der kurdischen Schriftsteller und Künstler e.V
YXK Verband der Studierenden Hamburg e.V.
Bundesausschuss Friedensratschlag
Harald Weinberg (MdB DIE LINKE)
Hintergründe zum § 129b Prozess gegen Ali Ihsan Kitay
Vermeintlich „mildes“ Urteil – politisch gewollte Kriminalisierung
In dem im August 2012 vor dem Oberlandesgericht (OLG) Hamburg begonnenen Prozess gegen den kurdischen Politiker Ali Ihsan Kitay wurde am Mittwoch, den 13. Februar, das Urteil gesprochen. Die RichterInnen befanden den 47-jährigen Kurden schuldig, in den Jahren 2007 und 2008 die kurdische Arbeiterpartei PKK in Norddeutschland geleitet zu haben. Gegen Kaution wurde Kitay bis zur Entscheidung über die Revision aus der Untersuchungshaft entlassen. Straftaten in Deutschland werden dem nach Paragraph 129b Strafgesetzbuch (Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland) Angeklagten nicht vorgeworfen.
Dieser Prozess muss als Pilotverfahren gesehen werden.
Vier weitere Kurden stehen momentan in Stuttgart, Düsseldorf und Berlin ebenfalls gemäß §129b vor Gericht, in zwei weiteren „Fällen“ wurde bereits Anklage erhoben. Erste Grundsatzent-scheidungen wurden vor dem OLG Hamburg getroffen – in einigen der jetzt anhängigen und weiteren etwaigen Verfahren drohen weit höhere Strafen.
Gericht sieht Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen als erwiesen an
Das für einen Paragraph 129 b Prozess zunächst milde wirkende Strafmaß des Urteils begründeten die fünf RichterInnen des OLG Hamburg mit der persönlichen Lebensgeschichte Ali Ihsan Kitays. Insbesondere die in 20 Jahren Haft in der Türkei erlittene Folter und seine persönliche Motivation gegen kontinuierliche Unterdrückung Widerstand leisten zu müssen, um Überleben zu können, wären dafür maßgeblich gewesen, hieß es in der Urteilsbegründung. Auch die im Verfahren von der Verteidigung und Kitay selbst geschilderte Assimilationspolitik, die anhaltende Folterpraxis, Kriegsverbrechen, Fälle von Verschwindenlassen sowie die anhaltende systematische Unterdrückung der kurdischen Kultur in der Türkei, die die RichterInnen als erwiesen ansehen, hätten sich strafmildernd ausgewirkt. „Zum Teil hatten wir den Eindruck die Türkei sitzt hier vor Gericht“, bemerkte der Vorsitzende Richter diesbezüglich. Das OLG zog daraus jedoch leider nicht die notwendigen Schlussfolgerungen. (s.u.)
§129 b gegen kurdische ExilpolitikerInnen – Was bedeutet das konkret?
Durch den § 129b wird die Gewaltenteilung zwischen Regierung/Exekutive und Justiz/Judikative aufgehoben. Normalerweise entscheidet ein Gericht darüber, ob ein Verhalten strafbar ist oder nicht – im Fall des § 129 b entscheidet das jedoch das Bundesministerium für Justiz (BMJ). Das Gesetz sieht vor, dass die Regierung entscheidet, ob eine ausländische Organisation als terroristisch oder als „legitime Befreiungsbewegung“ eingestuft wird, und dann entweder die Ermächtigung zur Strafverfolgung erteilt oder nicht. Gleichzeitig sieht das Gesetz vor, dass kein Gericht die Möglichkeit haben soll, diese Entscheidung der Regierung/Exekutive zu überprüfen oder zu revidieren. Die Gerichte sollen diese Einschätzung einfach hinnehmen. Außenpolitische Interessen entscheiden über einen etwaige Strafverfolgung. Dadurch ist politischer Willkür Tür und Tor geöffnet. Das ist schlicht und einfach verfassungswidrig. In Bezug auf kurdische ExilpolitikerInnen entschied das Bundesjustizministerium zunächst, dass Personen, denen bestimmte Funktionen innerhalb der PKK zugeordnet werden (z. B Gebietsverantwortliche), verfolgt werden können. Diese Ermächtigung kann jedoch je nach politischem Willen erweitert werden.
Bei den Prozessen gemäß den §§ 129 und 129a StGB war es für die Gerichte stets erforderlich zu beweisen, dass die Ziele der PKK auch in Deutschland entweder auf die Begehung von Straftaten oder aber sogar sog. terroristische Taten (§ 129a) gerichtet waren. Das ist bei Prozessen gemäß § 129b belanglos. Deshalb hat das Gericht nicht mehr die Frage zu beantworten, ob die PKK in Deutschland Straftaten begeht. Die entscheidende Voraussetzung für die Strafbarkeit ist die Frage, ob die PKK in der Türkei bzw. überall dort, wo sie bewaffnet kämpft, eine terroristische Vereinigung ist oder nicht.
Gerichte entscheiden ohne notwendiges Hintergrundwissen
Die Gerichte in Deutschland sollen über Vorgänge in der Türkei oder anderswo entscheiden, obwohl sie kaum Kenntnisse über die gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse und etwaige Konflikte sowie deren historischen Entwicklungslinien und Hintergründe haben. Wie verheerend das ist, wurde in dem Verfahren gegen Ali Ihsan Kitay deutlich. Die Zeugen des Bundeskriminalamtes (BKA) und die VertreterInnen der Bundesanwaltschaft (BAW) gründeten die Anklage auf einseitige (assymetrische) Ermittlungen, Vorurteile und laienhaftes und zumeist veraltetes Halbwissen. Die RichterInnen mussten ein ums andere Mal seitens des Angeklagten und der Verteidigung über die Lage in der Türkei und Kurdistan aufgeklärt werden. (weitere Informationen dazu finden sich u.a. in Prozessberichten auf der Seite eines breiten Bündnisses, dass den Prozess begleitet hat – http://freiheitfueraliihsan.noblogs.org)
Der § 129 b
Im § 129b ist geregelt, dass eine Vereinigung im Ausland dann als terroristisch gilt, wenn ihr Handeln auf Mord (§ 211) oder Totschlag (§ 212) oder Völkermord (§ 6 des Völkerstraf-gesetzbuches) oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit (§ 7 des Völkerstrafgesetzbuches) oder Kriegsverbrechen (§§ 8, 9, 10, 11 oder § 12 des Völkerstrafgesetzbuches) gerichtet ist. Das ist der Aspekt, über den das OLG Hamburg im Verfahren gegen Ali Ihsan Kitay und alle Gerichte in den weiteren Verfahren § 129b entscheiden müssen.
Entscheidend bei den Verfahren gegen KurdInnen ist, ob es sich bei der PKK um eine terroristische Vereinigung oder eine legitime Befreiungsbewegung handelt, die in einem bewaffneten Konflikt agiert. Von der kurdischen Bewegung, VölkerrechtlerInnen und der Linken sowie von den von § 129 b betroffenen KurdInnen und deren Verteidigungen wird die PKK als eine Konfliktpartei in einem bewaffneten Konflikt mit dem türkischen Staat und Militär, in dem beide Parteien Gewalt anwenden dürfen, gesehen. In einem solchen Konflikt – also in einem Krieg – sind Tötungen (Mord und Totschlag) erlaubt, wenn sie sich im Rahmen des humanitären Kriegsvölkerrechts bewegen – also keine Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen werden. Auch Widerstand, wenn nötig bewaffnet, gegen anhaltendes Unrecht und Tyrannei wird in der UN-Charta der Menschenrechte, als legitim betrachtet. Die kurdische Bewegung leistet seit mehr als 30 Jahren derartigen Widerstand.
Der Prozess vor dem OLG Hamburg
Interessanterweise haben die RichterInnen des OLG Hamburg in einer Stellungnahme im Verlauf des Prozesses anerkannt, dass in der Türkei das Selbstbestimmungsrecht der KurdInnen verletzt wird. Zudem haben sie die systematische erneut zunehmende Anwendung von Folter und Begehung von Menschenrechts-verletzungen durch Sicherheitskräfte, die seitens der Verteidigung im Prozess ausführlich geschildert wurde, als erwiesen angesehen. Auch Kriegsverbrechen, wie einen Chemiewaffeneinsatz im Mai 1999, bei dem 19 Guerillas der PKK starben, von dem im Prozess Videoaufzeichnungen aus Armeekreisen gezeigt wurden, sahen die RichterInnen als erwiesen an. Anhand von Video- und Funkaufzeichnungen wurde deutlich, dass der heutige Generalstabschef Necdet Özel selbst den Befehl zum Einsatz des Giftgases gab und Soldaten noch einen Tag später ihm gegenüber per Funk bei der Bergung der Leichen von Resten des Gases und eigenen Vergiftungserscheinungen sprachen.
Eigentlich müssten also die dafür verantwortlichen PolitikerInnen, der Generalstabschef und diejenigen, die mit systematischer Folter Verbrechen gegen die Menschlichkeit begehen, in Deutschland vor Gericht stehen. In diesem Zusammenhang wird deutlich, dass es bei den § 129b Verfahren nicht um die Gewährung von Menschenrechten und Recht oder die Verfolgung von etwaigen Straftaten geht, sondern um politische motivierte Verfolgung handelt.
Haltlose Einschätzung des Gerichts – Die TAK sei eine Unterorganisation der PKK
Um eine tiefer gehende Beschäftigung mit der politischen Entwicklung und den inhaltlichen Zielen der PKK zu umgehen, bezeichnete das OLG die Stadtguerillaorganisation TAK (Freiheitsfalken Kurdistans) als Unter-organisation der PKK. Die Distanzierungen der PKK von der Politik und den Anschlägen der Stadtguerillaorganisation TAK, bei denen auch immer wieder ZivilistInnen getötet werden, seien zumindest bis 2010 nur taktisch gewesen, so die Argumentation der RichterInnen. Selbst der für die TAK zuständige Ermittler des Bundeskriminalamtes (BKA) wollte im Verfahren nicht so weit gehen: „Es gibt Indizien, dass die TAK eine Unterorganisation der PKK sein könnte,“ so seine Aussage. Gut eine Stunde verlasen die RichterInnen Berichte von Anschlägen der TAK – die hauptsächlich die städtische Front der PKK im Westen der Türkei sei. In diesem längsten Abschnitt der Urteilsbegründung sollte offenbar nach bester Aktenzeichen XY Manier die Orientierung der PKK auf Mord und Totschlag festgeschrieben werden. Europäische Türkeiexperten sowie der Berater des ehemaligen türkischen Regierungschefs Turgut Özal, Cengiz Candar, betonen dagegen die unterschiedlichen politischen Ziele von TAK und PKK. Die Verteidigung zitierte im Prozess Dokumente, die die organisatorische Unabhängigkeit der TAK belegen. Auch Wikileaks veröffentlichte in den „Global Intelligence Files“ eine E-Mail der oft als Privatableger der CIA bezeichneten Agentur Stratfor, in der eine Quelle aus dem Nordirak diese Einschätzung bestätigt. Deren Vorgehen erinnere von der Rhetorik und der Anschlagspraxis eher an die Methoden des „Tiefen Staates“, heißt es dort.
Auch die BAW hatte an Hand von mehr als vagen Quellen versucht, in ihrem Plädoyer die Stadtguerillaorganisation Freiheitsfalken (TAK) als eine Unterorganisation der PKK darzustellen. In der Äußerung mit freudschem Versprecher „Es ist unbestreitbar, dass die TAK eine organisatorische Anbindung an die KPD hat,“ zeigte sich das ganze Dilemma der vorurteilsbeladenen und absurden Argumentation der BAW.
Das OLG wertete auch militärische Aktionen der Guerilla im Rahmen von Gefechten als terroristisch. Gleiches gilt für Angriffe der Guerilla auf Einrichtungen militärischer und polizeilicher Einheiten und Gebäude, die im Rahmen der Selbstverteidigung, zum Schutz der Bevölkerung oder als Reaktion auf Angriffe von Polizei oder Militär auf die Zivilbevölkerung erfolgten.
Keine Sachverständigen geladen
Eigentlich erwartet man bei einem derartig schwerwiegenden Anklagekonstrukt – bei dem es zum größten Teil um Ereignisse in einer dem Gericht nicht ausreichend bekannten Region geht – dass in einer umfangreichen Beweisaufnahme sachverständige ExpertInnen sowie Zeugen aus der betroffenen Region gehört werden. Als Zeugen lud das Gericht lediglich vier Beamte des BKA, die ihre am Schreibtisch erworbenen Rechercheergebnisse präsentierten. Deren Aussagen basierten im Wesentlichen auf einseitiger (asymmetrischer) Ermittlung, veralteter Recherche weiterer Beamten, unhinterfragbaren Internetquellen, Vorurteilen sowie laienhaftem Halbwissen.
Der Ermittlungsführer B., der die Struktur und politische Entwicklung der PKK schildern sollte und deren Handeln bewertete, sagte z. B., dass ihm die Texte der PKK zu ideologisch wären und er diese nicht verstanden habe. Über die Verhältnisse vor Ort, über die kurdischen Autonomieregionen im Nordirak oder die im türkischen Parlament vertretene pro kurdische BDP (Partei für Frieden und Demokratie) wusste er ebenfalls nichts zu berichten. Die weiteren BKA-Zeugen verhielten sich ähnlich einseitig und unwissend.
Mit den entscheidenden völkerrechtlichen Aspekten und den Hintergründen des Konflikts, die für ein § 129b Verfahren grundlegend sein sollten, hat sich das Gericht nur dann beschäftigt, wenn es durch Anträge der Verteidigung dazu gezwungen wurde. Das Hauptziel der RichterInnen war offensichtlich die Einbindung Ali Ihsans in die Strukturen der PKK in Deutschland nachzuweisen. Dazu wurden alte Urteile nach § 129 verlesen, stundenlang Telefonüberwachung angehört und das Unwissen der BKA-Beamten als Experten-wissen deklariert. Die dabei erlangten Erkenntnisse, wie z. B. das Organisieren von Demonstrationen (wie z. B. das Newrozfest, dass Weltkulturerbe ist) durch Ali Ihsan, das Bestellen eines Grills von Kiel nach Hamburg und das häufigere Schlichten von Streitigkeiten, dienten schließlich dazu, seine Einbindung in die PKK-Struktur zu beweisen.
Texte der BDP, der kurdischen Organisationen, der PKK, von Amnesty International und dem Europäischen Parlament, die sich mit der Menschenrechtslage in der Türkei beschäftigen, wurden aus dem öffentlichen Prozess ins Selbstleseverfahren ausgelagert. Die Anträge der Verteidigung auf Anhörung von Sachver-ständigen zu den Verhältnissen in den kurdischen Regionen wurden sämtlich abgelehnt.
In diesem Zusammenhang ist ebenfalls ersichtlich, wie hinderlich das vor 20 Jahren ausgesprochene Betätigungsverbot der PKK in der BRD ist. Es ist eine nicht zu verleugnende Realität, dass die PKK in der Türkei und auch in der europäischen Exilcommunity eine Massenbasis hat. Durch dieses Verbot und seine Folgen werden die in der Verfassung garantierten Rechte auf „Vereinigung“ und „freie Meinungsäußerung“ stark eingeschränkt. Ein Großteil der KurdInnen ist dadurch täglich direkter oder indirekter Repression ausgesetzt. 20 Jahre „PKK-Verbot“ haben gezeigt, dass eine solche an den gesellschaftlichen Realitäten vorbeigehende Verbotspraxis nicht zu einer Lösung des Konflikts beitragen kann, sondern im Gegenteil zur Willkür gegenüber den und der Unterdrückung der KurdInnen beiträgt. Deshalb besteht die Notwendigkeit, diese falsche Politik zu korrigieren.
Gemeinsam sind wir der Ansicht, dass die skizzierte einseitige Prozessführung in Anbetracht der Schwere des § 129 b verantwortungslos ist. Ein solches Urteil, wie das des OLG Hamburg, ist gerade in einer sensiblen Dialogphase von großer Relevanz und das falsche Signal.