Am 27. Juni vor 20 Jahren mündete ein Antiterroreinsatz der GSG 9 in eine handfeste Krise der deutschen Sicherheitsbehörden: Die Aktion mit dem Decknamen »Weinlese« endete mit zwei Toten und weckte den bis heute nicht ausgeräumten Verdacht, daß die GSG-9-Beamten den mutmaßlichen RAF-Mann Wolfgang Grams durch einen gezielten Kopfschuß regelrecht exekutiert haben. Wochenlang wurden der Öffentlichkeit, auch dem Innenausschuß des Bundestages, immer wieder verschiedene Versionen des Hergangs präsentiert, der Innenminister und hochrangige Beamte mußten zurücktreten.
Durch einen V-Mann hatte das Bundeskriminalamt (BKA) erfahren, daß sich die RAF-Aktivistin Birgit Hogefeld auf dem Bahnhof der mecklenburgischen Kleinstadt Bad Kleinen mit Grams treffen wollte. Fast 100 Beamte des BKA und der GSG 9, der Spezialeinheit des damaligen Bundesgrenzschutzes, waren auf dem Bahngelände postiert, um beide festzunehmen.
Hogefeld konnte ohne Widerstand verhaftet werden, als Desaster erwies sich aber der Zugriff auf Grams, dem zunächst die Flucht auf einen Bahnsteig gelang. Dabei soll er den ihm nacheilenden GSG-9-Mann Wolfgang Newrzella erschossen haben.
Die GSG-9-Beamten reagierten mit einer wilden Schießerei, bei der auch eine Bahn-Schaffnerin verletzt wurde. Grams stürzte, von Kugeln getroffen, ins Gleisbett. Umstritten ist vor allem, was danach passierte: Der offiziellen Version zufolge hat sich Grams selbst erschossen. Indizien deuten darauf hin, daß er von einem GSG-9-Beamten hingerichtet wurde. Der Spiegel zitierte seinerzeit einen anonymen Polizisten, der behauptete, die Exekution gesehen zu haben. Allerdings verstrickte sich dieser Anonymus in Widersprüche. Hans Leyendecker distanzierte sich später von seiner damaligen Berichterstattung in dem Magazin.
Das stärkste Indiz aber ist die Aussage einer Frau, die damals in einem Bahnhofskiosk arbeitete. Einem Redakteur der WDR-Sendung »Monitor« sagte sie, sie habe gesehen, wie Grams von einem Polizisten erschossen worden sei. »Der Mann zielte auf den Kopf und schoß, aus nächster Nähe, wenige Zentimeter vom Kopf des Grams entfernt.« Erst nach dieser Aussage räumten die Ermittler ein, daß Grams tatsächlich einen »aufgesetzten« Kopfschuß erlitten hatte. Als pikant erwies sich dabei, daß die Schweriner Staatsanwaltschaft anfangs öffentlich erklärte, der schwer verletzte Grams sei zu einem Selbstmord gar nicht mehr in der Lage gewesen. Später wurde das revidiert. Die Zeugin wurde massiv eingeschüchtert und zog ihre Aussage zurück.
Das war längst nicht die einzige Manipulation. Mehreren anderen Zeugen, die damals auf dem Bahnhof waren, wurde von den Vernehmern eingeredet, sie könnten nicht drei Personen, sondern nur zwei gesehen haben. Denn der dritte Mann war ein Spitzel des Verfassungsschutzes: Klaus Steinmetz. Dessen Festnahme sollte geheim bleiben, um ihn nicht zu »verbrennen«.
Der Verdacht, daß Grams exekutiert worden war, wog umso schwerer, als immer mehr »Pannen« bzw. Vertuschungsversuche der Ermittler aufgedeckt wurden. Die Öffentlichkeit war mit einem Szenario konfrontiert, das man bis dahin nur aus Bananenrepubliken kannte: Killer in Uniform, die aus Rache für den Tod eines der Ihren den mutmaßlichen Täter exekutieren und von Politikern gedeckt werden.
Kritische Fragen zum Einsatz waren aber schon damals nicht erwünscht, und noch heute provozieren sie scharfe Kritik. Damals war Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) sofort ins GSG-9-Hauptquartier geeilt, um der Elitetruppe seine Solidarität zu versichern. Heute wettert das konservative Magazin Cicero gegen »Monitor« und Spiegel, die den »eigentlichen Skandal« verursacht hätten. Der damalige Innenminister Rudolf Seiters (CDU) geht ohnehin davon aus, daß die Krise »durch ein falsches Verhalten von Medien hervorgerufen worden ist«.