Rede zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes der Fraktion der SPD zur Schaffung einer aufenthaltsrechtlichen Bleiberechtsregelung (17/7933) und eines Entwurfs eines Gesetzes des Bundesrats zur Änderung des Aufenthaltsgesetzes (17/13424)
Das Problem von Kettenduldungen besteht in Deutschland seit Beginn der 90er Jahren. Der Begriff Kettenduldungen meint, dass über einen langen Zeitraum hinweg immer wieder nur kurzfristige Bescheide über die Duldung des Aufenthalts erteilt werden, zum Teil nur für wenige Tage, und das jahrelang. Mitte der 90er Jahre war zeitweise der Aufenthalt von über 400000 Menschen lediglich geduldet. Sie waren durch die weiten Maschen des Asylrechts gefallen und hatten keine Chance auf Anerkennung. Durch mehrere Altfallregelungen, aber leider auch durch zahlreiche Abschiebungen und noch mehr erzwungene ‚freiwillige‘ Ausreisen wurde die Zahl der Geduldeten mittlerweile auf 85000 reduziert. Die im Zuwanderungsgesetz von 2005 vorgesehenen Regelungen zur Vermeidung so genannter Kettenduldungen sind nahezu wirkungslos geblieben. Entsprechende Aufenthaltserlaubnisse (nach §25 Abs. 5 AufenthG) werden kaum erteilt, weil die misslungene rot-grüne Gesetzesvorschrift daran anknüpft, dass Betroffene „unverschuldet“ an der „Ausreise“ gehindert sein müssen – was Ausländerbehörden nahezu immer verneinen. Fast die Hälfte der langjährig Geduldeten hält sich schon seit über fünf Jahren in der Bundesrepublik auf. Deshalb debattieren wir im Bundestag seit Jahren über Vorschläge, wie Kettenduldungen endlich wirksam beendet werden können. Denn das Leben in jahrelanger Ungewissheit über die weitere Zukunft und die zahlreichen Einschränkungen des lediglich geduldeten Aufenthalts zermürben viele Menschen. Unter den 85000 Geduldeten in Deutschland sind 22000 noch minderjährig. Sie wachsen in Verhältnissen auf, die alles andere als förderlich für ihre Entwicklung sind: sie leben in Sammelunterkünften, sie unterliegen der Residenzpflicht, ihre Eltern haben über viele Jahre hinweg keinen normalen Zugang zum Arbeitsmarkt, und auch für die Kinder ist nicht absehbar, ob sie jemals die Erlaubnis erhalten, eine Ausbildung zu beginnen.
Gerade auf diese jungen Menschen zielte die letzte von der Regierungskoalition beschlossene Bleiberechtsregelung für besonders gut integrierte Jugendliche. Nach sechs Jahren Aufenthalt und guten Schulleistungen oder einer begonnenen Ausbildung erhalten sie nun eine Aufenthaltserlaubnis. Davon haben bislang etwa 2500 Jugendliche profitiert. Das begrüßen wir, angesichts der großen Zahl an minderjährigen Geduldeten bleibt aber festzuhalten: auch diese Regelung setzt die Hürden für eine Aufenthaltserlaubnis deutlich zu hoch an. Der vorliegende Gesetzentwurf des Bundesrates will zumindest die geforderte Voraufenthaltszeit der Jugendlichen von sechs auf vier Jahre absenken. Allerdings hält er zugleich an der Ausschlussklausel fest, dass den Jugendlichen vermeintliche Täuschungen über ihre Identität oder fehlende Mitwirkung bei der Abschiebung als Grund vorgehalten werden kann, ihnen ein Bleiberecht zu verweigern. Wohlgemerkt, es sind Handlungen der Eltern, die den Jugendlichen hier vorgehalten werden, die sie also selbst gar nicht zu verantworten haben. Auch die Regelung, dass die Eltern nur bei eigenständiger Lebensunterhaltssicherung ebenfalls eine Aufenthaltserlaubnis erhalten, ansonsten aber weiter nur geduldet werden, lässt der Gesetzentwurf des Bundesrates unangetastet.
Daneben will der Bundesrat die so genannte Altfallregelung aus dem Jahr 2009 zu einer allgemeinen Bleiberechtsregelung ausbauen, die vorgeschlagene Regelung enthält also keinen Stichtag mehr. Allerdings stellt auch die vorgeschlagene Regelung Anforderungen an die eigenständige Lebensunterhaltssicherung, Deutschkenntnisse, einen mindestens sechsjährigen Voraufenthalt bei Familien oder acht Jahren bei Alleinstehenden. Vermeintliche Täuschungen über die Identität und fehlende Mitwirkung sollen auch nach dem Bundesratsvorschlag zum Ausschluss vom Bleiberecht führen. Damit werden wiederum zahlreiche Anforderungen geschaffen, die für viele der Betroffenen kaum erfüllbar sind.
Der Gesetzentwurf der SPD-Fraktion sieht an dieser Stelle wenigstens eine Art Auffangregelung für diejenigen vor, die diese Anforderungen nicht erfüllen können. Ihnen soll nach spätestens 12 Jahren eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn keine Sicherheitsbedenken bestehen und keine rechtskräftige Ausweisungsverfügung vorliegt. Derzeit sind immerhin etwa 16000 Menschen seit 12 Jahren und mehr geduldet. Auch ansonsten sieht der Gesetzentwurf gegenüber dem Entwurf des Bundesrates mildere Anforderungen vor, beispielsweise soll ein Bemühen um Arbeit ausreichend sein, Kindern soll bei guter Integrationsperspektive bereits nach vier Jahren ein Bleiberecht erteilt werden, die Eltern werden einbezogen. Wir begrüßen den Gesetzentwurf der SPD-Fraktion deshalb als Schritt in die richtige Richtung und werden ihm zustimmen. Generell bleibt es aber bei der Kritik der Fraktion DIE LINKE an den Bedingungen, die immer wieder für die Erteilung eines Bleiberechts gestellt werden. Es ist geradezu zynisch, nach jahrelanger erzwungener Untätigkeit und Unterbringung in entlegenen Sammelunterkünften eine eigenständige Lebensunterhaltssicherung und Deutschkenntnisse zu verlangen. Die meisten Betroffenen unterliegen seit ihrer Ankunft in Deutschland der Residenzpflicht, sie durften über Jahre ihre Kommune oder ihren Landkreis, im besten Fall ihr Bundesland nie ohne Erlaubnis verlassen. Der Verlust jedweder Selbstbestimmung über das eigene Leben ist das zentrale Integrationshemmnis für diese Menschen. Eine Bleiberechtsregelung, die das berücksichtigt, wird deshalb keine andere Anforderung stellen als eine Voraufenthaltszeit von höchstens fünf Jahren.. Einen entsprechenden Vorschlag für eine kurze und einfache Neuregelung im Aufenthaltsgesetz haben wir in dieser Wahlperiode bereits vorgelegt, und sie entspricht auch den Forderungen zahlreicher Initiativen und Verbände, die sich seit Jahren für eine Bleiberechtsregelung einsetzen. Deren Anliegen werden wir auch künftig in den Bundestag tragen.
(Die Rede wurde nach einer Vereinbarung der Fraktionen zu Protokoll gegeben.)