Lehren aus »dem NSU-Komplex und der Aktenvernichtung« sollen mit einer Reform des Inlandsgeheimdienstes gezogen werden, die Bundesverfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen und Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) am Mittwoch in Berlin ankündigten. Eine fünfseitige Zusammenfassung des Vorhabens auf der Homepage des Bundesamtes strotzt nur so von Begriffen aus der modernen Marketingsprache: Es verspricht den Geheimdienst »für neue Herausforderungen zukunftsorientiert« aufzustellen, »neue Konzepte« sowie »Qualitätssicherung« und einen »neuen Leitfaden mit gemeinsamen Standards«. »Pilotprojekte« werden aufgelegt, die »zielorientierter« zusammenarbeiten sollen, »um eine optimale Organisationsstruktur für eine enge Kooperation zu finden«. Hinter dem Wust an Reklamesprüchen verbergen sich nur wenige reale Veränderungen.
Bei der Auswertung von Erkenntnissen soll jetzt eine Art Querdenkereinheit helfen und Analysen anderer Abteilungen im eigenen Haus hinterfragen, damit sie nicht jahrelang ungeprüft Bestand haben. Zu den Verbrechen des »Nationalsozialistischen Untergrunds« und den fehlgeleiteten Ermittlungen heißt es wörtlich: »Die Taten des NSU wurden damals von den Sicherheitsbehörden falsch eingeordnet und gezogene Schlußfolgerungen unzureichend hinterfragt. Die neue Beratungs- und Kontrollinstanz soll daher auch ›quer denken‹, bereits Selbstverständliches kritisch hinterfragen, ungewöhnliche Denkansätze nutzen und der Auswertung neue Impulse geben.«
Eigens ernannte Aktenvernichtungsbeauftragte müssen das Schreddern von Unterlagen genehmigen. Den Einsatz von V-Leuten regelt ein neuer Leitfaden, der allerdings der Öffentlichkeit verborgen bleibt. Bekannt wurde nur, daß Personen, die wegen »erheblicher« Straftaten verurteilt wurden, als Quellen ausfallen sollen. Die Entlohnung soll keine Abhängigkeiten vom Spitzeldienst schaffen, und die V-Mann-Führer sollen alle fünf Jahre wechseln. Zudem soll eine zentrale V-Leute-Datei die Spitzel von Bundesamt und Landesämtern – ohne Klarnamen – auflisten, um zu vermeiden, daß sich zwei Geheimdienste bei der gleichen infiltrierten Gruppe gegenseitig die Arbeit erschweren.
Die Beobachtungstätigkeit soll künftig den »Fokus auf die Gefährlichkeit« verdächtiger Gruppierungen richten. Je gewaltorientierter ein »Beobachtungsobjekt« sei, desto intensiver sollen nachrichtendienstliche Mittel angewandt werden. Der Verfassungsschutz hatte schon vor Wochen angekündigt, weiterhin angeblich »linksextremistische« Kreise, darunter mehrere antikapitalistische Strömungen der Partei Die Linke, zu beobachten, allerdings nur unter Verwendung öffentlich zugänglicher Quellen. In Ausnahmefällen können aber auch künftig nicht-gewaltorientierte Personen und Strukturen mit Wanzen, Kameras und ähnlichem ausgeforscht werden.
Aufrüsten will das Bundesamt im Bereich der »Cybersicherheit«, um sich unter anderem Phänomenen wie Cyberterrorismus und -spionage zu widmen. Zu den Cyberangriffen westlicher Geheimdienste äußert sich das Papier nicht. Kryptisch bleibt es auch bei der parlamentarischen Kontrolle: Die Amtsleitung, heißt es, unterrichte die parlamentarischen Gremien »intensiv und proaktiv«. Klar erkannt wurde hingegen der Nachholbedarf bei der Eigenwerbung des Dienstes, der eine aktive Presse- und Öffentlichkeitsarbeit ankündigt.
Die Oppositionsparteien reagierten negativ auf die Ankündigungen. Der parlamentarische Geschäftsführer der SPD, Thomas Oppermann, lehnt die Serie von Einzelmaßnahmen ab und hält es für nötig, »daß der Verfassungsschutz insgesamt umgebaut« wird, um einen »Mentalitätswechsel« einzuleiten. Hans-Christian Ströbele von den Grünen sprach sich für einen Neubeginn aus: »Der Verfassungsschutz muß aufgelöst werden, so wie er ist.« Man könne auch nicht einfach die V-Leute weitermachen lassen. Die Linken-Politikerin Petra Pau sagte, wirklich konsequente Lehren und Reformen wären, »erstens die V-Leute-Praxis sofort zu beenden, zweitens die Ämter für Verfassungsschutz als Geheimdienst aufzulösen«.