Deutsche wirtschaftliche und geopolitische Interessen in der Türkei versetzten die Türkei in eine Position, die keineswegs nur eine Abhängigkeit als Bittsteller bedeutet. Ankara konnte so immer wieder von Deutschland Maßnahmen gegen kurdische und türkische Exiloppositionelle einfordern.
Vorweg drei Thesen:
1. Die Verfolgung der kurdischen Freiheitsbewegung in Deutschland fand von Anfang an in einem internationalen Kontext statt. Die Bundesregierung geht dabei mit ihren Maßnahmen koordiniert im Rahmen von NATO und EU vor.
2. Die Verfolgung der kurdischen Freiheitsbewegung in Deutschland war ein Schrittmacher beim Abbau demokratischer Grundrechte unter anderem im Bereich der Versammlungsfreiheit und der Flüchtlingsrechte.
3. Das vor 20 Jahren erlassene PKK-Verbot ist inzwischen zu einem bürokratischen Selbstläufer der Verfolgungsbehörden geworden – weitgehend unabhängig von den tatsächlichen Entwicklungen in der Türkei und den Wandlungen der kurdischen Bewegung.
Mitte der 80er Jahre begann in Kurdistan der bewaffnete Kampf der PKK gegen die nach dem Putsch vom 12. September 1980 errichtete türkische Militärdiktatur. Für die NATO stellt diese Entwicklung eine Destabilisierung der Türkei als ihr Außenposten gegen die Sowjetunion und Bollwerk gegen antiimperialistische Entwicklungen im Nahen Osten dar. Dagegen wurde in der zweiten Hälfte der 80er Jahre von der NATO ein Aufstandsbekämpfungsprogramm eingeleitet. Die Türkei wurde unter anderem mit umfangreichen Waffenlieferungen aus Deutschland weiter aufgerüstet, um die PKK-Guerilla in Kurdistan militärisch zu bekämpfen. Gleichzeitig sollte der PKK durch juristische Maßnahmen das Hinterland in Europa entzogen werden. Im Mittelpunkt dieser Maßnahmen stand Deutschland aufgrund der großen dort lebenden kurdischen Diaspora einerseits und des restriktiven deutschen Staatsschutzrechts andererseits. Es ging darum, die kurdische Befreiungsbewegung als terroristisch zu brandmarken und zu bekämpfen. Generalbundesanwalt Kurt Rebmann erklärte in diesem Sinne die PKK zum ”Hauptfeind der inneren Sicherheit”. Ab 1989 fand in Düsseldorf der erste große PKK-Prozess nach dem berüchtigten Paragraphen 129a StGB „Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung“ statt. 20 kurdische Politiker waren angeklagt, Angehörige einer besonderen terroristischen Vereinigung innerhalb der PKK zu sein, die die Aufgabe der Liquidierung von Parteifeinden habe. Konkret soll diese Vereinigung einen namentlich nicht bekannten Kurden in einem PKK-Camp im Libanon getötet haben. Für den Massenprozess wurde eigens ein neuer Gerichtssaal in einer Polizeikaserne in Düsseldorf gebaut. In dem unterirdischen Saal wurden die Angeklagten in Plexiglaskäfigen wie wilde Tiere vorgeführt. Ein Verteidiger sah darin die „hygienisch einwandfreie mitteleuropäische Variante der berüchtigten Massenschauprozesse türkischer Militärgerichte“. In vielen Fällen kam es zu Verfahrenseinstellungen „wegen Geringfügigkeit“ . Aufgrund der Aussage eines Kronzeugen konnten lediglich zwei Angeklagte zu lebenslangen Freiheitsstrafen verurteilt werden, zwei weitere Verurteilte kamen sofort nach Urteilsverkündigung frei, da ihre Strafen durch die Untersuchungshaft vergolten waren. Der Versuch der Bundesanwaltschaft, die gesamte kurdische Befreiungsbewegung als Terroristen zu brandmarken, war gescheitert. Damals gab es den nach den Anschlägen vom 11. September 2001 eingeführten Paragraph 129b gegen „ausländische terroristische Vereinigungen“, noch nicht, die in Deutschland keinerlei Gewalttaten begangen haben.
Aber die deutschen Sicherheitsbehörden bereiteten eine viel flächendeckendere Verfolgung der kurdische Befreiungsbewegung in Deutschland vor, als sie mit den Terrorparagraphen alleine möglich war. Im Herbst 1993 bombardierte die türkische Armee die kurdische Kleinstadt Lice in der Provinz Diyarbakir. Kurden in Deutschland reagierten mit einer Anschlagswelle auf türkische Vertretungen, Cafés und Reisebüros. Dabei wurde ein Kaffeehausbesitzer getötet. Diese Anschlagswelle diente als Anlass für das am 26. November 1993 von Bundesinnenminister Manfred Kanther (CDU) verfügte Betätigungsverbot für die PKK, die Nationalen Befreiungsfront Kurdistans ERNK sowie 29 örtlicher Kulturvereine, eine Nachrichtenagentur und einen Verlag. Die innen – und vor allem außenpolitisch begründete Verbotsverfügung stützte sich keineswegs allein auf die der PKK angelasteten Gewalttaten in Deutschland. Darin hieß es:
”[…] die Tätigkeit der PKK sowie ihrer Teilorganisationen verstößt gegen Strafgesetze, richtet sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung, gefährdet die innere Sicherheit, die öffentliche Ordnung und sonstige erhebliche Belange der Bundesrepublik Deutschland […] Die Straftaten stören das friedliche Zusammenleben zwischen Kurden und Türken sowohl in der Türkei als auch in Deutschland […]. Die gewalttätigen politischen Aktionen […] gefährden die außenpolitischen Belange der BRD. Sie stören erheblich das Verhältnis zum türkischen Staat […]. Die politische Agitation der PKK und ihr nahestehender Organisation hat zwischenzeitlich ein außenpolitisch nicht mehr vertretbares Ausmaß erreicht. […] die deutsche Außenpolitik und die Außenpolitik der gesamten westlichen Welt tritt für (die) Integrität eines wichtigen NATO-, WEU- und Europapartners im Interesse des Friedens in der gesamten Region ein. Eine weitere Duldung der PKK-Aktivitäten in Deutschland würde diese deutsche Außenpolitik unglaubwürdig machen und das Vertrauen eines wichtigen Bündnispartners, auf das Wert gelegt wird, untergraben. Darüber hinaus werden dadurch diejenigen Kräfte in der Türkei gestärkt, die die Bindungen an Europa und dran die westliche Welt lockern wollen […].”
Seit dem PKK-Verbot stehen Kurden in Deutschland faktisch unter terroristischen Generalverdacht. Tausende Ermittlungsverfahren und Verurteilungen wegen Verstößen gegen das Vereinsgesetz wurden eingeleitet und zahlreiche Geld- und auch Haftstrafen verhängt. Es kam zu zahlreichen Demonstrationsverboten, so auch im November 2011 einer bundesweiten Großdemonstration anlässlich des 18. Jahrestags des PKK-Verbots in Berlin. Weiterhin finden regelmäßig Razzien in Privatwohnungen politisch aktiver Kurden sowie in Kulturvereinen statt, so zuletzt im März im Kurdistan Volkshaus Hannover. 1994 wurden in Deutschland die Feierlichkeiten zum Newroz-Fest ebenso verboten, wie sonst nur in der Türkei. Als die Busse mit den Anreisenden Festteilnehmern von der Polizei gestoppt wurden, reagierten diese mit Autobahnblockaden. Es kam zu Straßenschlachte. Ebenfalls in diesem Jahr 1994, am 1. Juli, wurde der 16-jährige Halim Dener beim Kleben von ERNK-Plakaten von einem Zivilpolizisten von hinten erschossen. Der Todesschütze wurde vor Gericht freigesprochen. Die Polizeiangriffe auf Kurden wurden Mitte der 90er Jahre von einer medialen Hetzkampagne gegen „Terrorkurden“ begleitet. Selbst angebliche Mordbefehle von Abdullah Öcalan gegen den deutschen Außenminister Klaus Kinkel und Rennfahrer Schuhmacher wurden kolportiert. Nach Kontakten zwischen Verfassungsschützern und Öcalan kam es dann in der zweiten Hälfte der 90er Jahre zu einer leichten Entspannung. Die PKK erklärte sich zum Gewaltverzicht in Deutschland bereit, im Gegenzug wurden PKK-Kader nur noch als Mitglieder einer kriminellen aber nicht mehr einer terroristischen Vereinigung verfolgt und einige kurdische Demonstrationen oder Festivals wurden zugelassen.
Repression gegen kurdische Medien:
Im Mittelpunkt der staatlichen Angriffe standen in den letzten Jahren immer wieder kurdische Medien. 2005 wurde so die Tageszeitung Özgür Politika vom Bundesinnenministerium verboten. Das Verbot scheiterte allerdings später vor Gericht, doch der Schaden war für die Zeitung schon entstanden. Die US-Regierung sicherten dem türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan Ende 2007 zu, mit Hilfe der europäischen NATO-Partner die zivile Infrastruktur der Befreiungsbewegung, also Medien und Finanzen, in Europa ins Visier zu nehmen. 2008 verbot das Bundesinnenministerium den kurdischen Fernsehsenders Roj TV. Dieses Verbot musste später gerichtlich wieder aufgehoben werden, da ein deutsches Gericht einen in Dänemark lizensierten Sender nicht verbieten darf. Aber Aufnahmen von Roj TV in Deutschland bleiben damit verboten und Aufnahmestudios in Wuppertal geschlossen. Und im Sommer 2013 hat ja ein dänisches Gericht den Entzug der Sendelizenz von Roj TV verfügt. Bei den Angriffen auf Roj TV, dem Verbot in Deutschland, den Razzien in den Brüsseler Senderstudios, der Kündigung eines französischen Satteliten für die Ausstrahlung und dem Lizenzentzug in Dänemark sehen wir ein EU-weit koordiniertes Vorgehen. Ebenso kommt es immer wieder in verschiedenen EU-Ländern zu Razzien bei kurdischen diplomatischen Vertretungen, Büros und Vereinsräumen, etwa in Frankreich, Italien und Holland.
Angriffe auf Flüchtlingsrechte
Die grenzüberschreitende Kurdenverfolgung der 80er und 90er Jahre war zugleich ein Schrittmacher beim Abbau der Rechte von Flüchtlingen und Migranten. Schon Ende der 80er Jahre hatte Generalbundesanwalt Kurt Rebmann eine Einschränkung des Asylrechts gefordert und erklärt: „Dies sollten die führenden Mitglieder der PKK zur Kenntnis nehmen. […] In diesem Zusammenhang muss auch bedacht werden, dass eine zu großzügige und an unseren Sicherheitsbedürfnissen nicht orientierte Asyl- und Ausländerpolitik auf weitere Sicht zu einem Faktor der Instabilität in unserem Staate werden kann.” Kurdische Flüchtlinge aus der Türkei haben seitdem in Deutschland unter Verweis auf die Westtürkei als angeblich sichere Binnenfluchtmöglichkeit und angebliche Demokratisierung unter der AKP-Regierung kaum noch Chancen auf eine Anerkennung und sind einer rigiden Abschiebepraxis ausgesetzt.
Terrorparagraphen
Seit Verhängung des PKK-Verbots wird in Deutschland die Masse der PKK-Sympathisanten wegen Parolen wie Biji Serok Apo und dem zeigen verbotener Fahnen nach dem Vereinsgesetz zu Geldstrafen verurteilt. Doch daneben werden mutmaßliche PKK-Kader zuerst wegen 129a (terroristische Vereinigung) und ab 1998 wegen Paragraph 129 StGB (kriminelle Vereinigung) angeklagt. Dutzende kurdische Politiker und Aktivisten wurden in den letzten 20 Jahren zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Zu einer erneuten Verschärfung kam es hier seit 2010: Jetzt findet der Paragraph 129b StGB (ausländische terroristische Vereinigung) gegen PKK-Kader Anwendung. Mutmaßliche PKK-Kader, die in Deutschland nur Demos organisieren, Spenden sammeln und Zeitungen verkaufen, werden damit für Guerillakationen in Kurdistan verantwortlich gemacht. Der Paragraph 129b ist politisches und kein rein juristisches Verfolgungsinstrument. Das ist schon daran zu sehen, dass die Bundesregierung der Justiz erst Ermächtigung für eine Verfolgung nach diesem Paragraphen geben muss. Die Verteidiger in den laufenden PKK-Prozessen haben demgegenüber deutlich gemacht, dass der kurdische Befreiungskampf ihrer Ansicht nach ein völkerrechtlich legitimer antikolonialer Kampf im Sinne des Völkerrechts ist und kein Terrorismus.
Die Bundesregierung hat hierzu auf Kleine Anfrage der Linksfraktion geantwortet, eine Einstufung als bewaffneter Konflikt im Sinne des humanitären Völkerrechts setze „die Kenntnis konkreter Fakten des entsprechenden Falles voraus“ Aber „Die Bundesregierung nimmt eine solche Einstufung im vorliegenden Fall nicht vor.“ Diese offensichtlich fehlende und wohl gar nicht erwünschte Kenntnis „konkreter Fakten“ zum Kurdistan-Konflikt hinderte die Bundesregierung nicht daran, der Justiz die für eine Verfolgung nach Paragraph 129b notwendige Ermächtigung gegen PKK-Kader zu erteilen. Bislang gab es zwei Verurteilungen kurdischer Politiker nach dem Paragraph 129b. Im Februar wurde Ali Ihsan Kitay in Hamburg zu 2 ½ Jahren verurteilt und jetzt im Juni Vezir T. in Berlin zu drei Jahren. Weitere Verfahren laufen vor OLG Düsseldorf und Stuttgart.
Bei den 129/a/b-Verfahren gegen PKK-Aktivisten zeigt sich seit 20 Jahren die größte Ignoranz der Gerichte gegenüber allen Wandlungen der Befreiungsbewegung, die ja zum Beispiel längst keinen eigenen kurdischen Staat mehr anstrebt, sondern eine demokratische Türkei. Die regelmäßigen einseitigen Waffenstillstände werden ignoriert und politische Motive der Angeklagten ausgeblendet. So behaupten die Gerichte weiterhin, dass die PKK Vereinigung zur Begehung von Mord und Totschlag in der Türkei ist und PKK-Kader in Deutschland das mit ihrer Aktivität unterstützen.
Perspektiven?
Wenn das PKK-Verbot die Aktivitäten der kurdischen Befreiungsbewegung in Deutschland stoppen sollte, dann war es ganz offensichtlich wirkungslos. Nach Angaben der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linke hat sich nämlich die Mitgliedschaft der PKK in Deutschland von 6900 im Verbotsjahr 1993 auf mittlerweile 13000 im Jahr 2012 fast verdoppelt.
Öcalans Aufruf zu Waffenruhe und zum Abzug der Kämpfer aus der Türkei als wird in der Antwort auf eine Anfrage von der Bundesregierung zwar als „großer Schritt hin zu mehr gegenseitigem Vertrauen“ gewürdigt. Doch selbst sieht die Bundesregierung keinen Handlungsbedarf. „Die friedliche Überwindung des Kurdenkonflikts auf politischem Wege ist eine innertürkische Angelegenheit. … Analogien zur Situation in Deutschland ergeben sich deshalb nicht“, heißt es. Und als Antwort auf eine schriftliche Frage im Mai wird erklärt:„Die Bundesregierung verfolgt die Gespräche türkischer Regierungsstellen mit Vertretern der PKK mit großem Interesse. Derartige Gespräche haben aus Sicht der Bundesregierung derzeit keine Auswirkungen auf die Unterbindung von Aktivitäten einer in Deutschland verbotenen und auf der EU-Terrorliste gelisteten Organisation. Darum handelt es sich bei der PKK nach wie vor.“
Diese Antwort ignoriert offensichtlich die ursprüngliche Verbotsbegründung vor 20 Jahren, die ja wie vorhin dargestellt wesentlich außenpolitisch motiviert war. Und diese Antwort ignoriert, dass Deutschland durch Waffenlieferungen ständig Öl ins Feuer des Kurdenkonflikts in der Türkei gegossen hat.
Eine Meldung des Magazins Focus, wonach die türkische Regierung von der Bundesregierung zur Begleitung des Friedensprozesses in der Türkei einen „gnädigeren Umgang“ mit PKK erwarte, ist laut Bundesregierung leider auch nur eine Zeitungsente. So sieht die Bundesregierung nach eigenen Angaben keine Veranlassung, eine Aufhebung des PKK-Verbot auch nur zu prüfen.
Hier stellt sich die Frage: Hat die Bundesregierung überhaupt ein wirkliches Interesse an Frieden in Kurdistan?
Deutschland ist schließlich einer der größten Waffenlieferanten in die Türkei. Und Frieden schadet dem Milliardengeschäft der deutschen Rüstungsindustrie. Dazu kommt, dass eine Türkei, die ihre kurdische Frage gelöst hat, stärker und eigenständiger im Nahen Osten und gegenüber EU/NATO agieren könnte. Eine solche Türkei würde sich nicht ihre Wirtschaftspolitik aus Brüssel und ihre Iran-Politik von NATO diktieren lassen. Vor diesem Hintergrund könnte es also Kräfte in Deutschland und Europa geben, die die kurdische Wunde offenhalten wollen, um die Türkei so besser zu kontrollieren.
Die Linksfraktion ist der Auffassung, dass das europaweit in dieser Form nur in Deutschland bestehende Betätigungsverbot für die Arbeiterpartei Kurdistans PKK und ihre Listung auf der EU-Terrorliste endlich aufgehoben werden muss. Den hier lebenden Kurden sollte es ermöglicht werden, den beginnenden Friedensprozess zwischen der PKK und der türkischen Regierung zu unterstützen, ohne deswegen polizeiliche und juristische Verfolgung befürchten zu müssen. Die Bundesregierung wäre gut beraten, sich nicht länger gegen den Wind des Friedens und der Verständigung zu stellen, der in der Kurden-Frage weht.