Eine halbe Million Menschen werden jedes Jahr nur deswegen von der Bundespolizei erniedrigenden Kontrollen in Zügen und auf Bahnhöfen unterzogen, weil sie nicht »deutsch« aussehen. Diese Zahlen hat eine kleine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag zum Umfang der Kontrollen durch die Bundespolizei nach Paragraph 22 Absatz 1a des Bundespolizeigesetzes zutage gefördert. Nach dieser Befugnis darf die Bundespolizei jederzeit Personen ohne jeden konkreten Tatverdacht anhalten und ihre Personalien kontrollieren. Im vergangenen Jahr wurden offiziell 466664 solcher Kontrollen durchgeführt, im ersten Halbjahr 2013 waren es 229689.
Das Deutsche Institut für Menschenrechte hatte im Juni eine Studie zu diesen Kontrollen vorgelegt. Zentrales Ergebnis: Da die Befugnis keinerlei konkreten Anlaß für eine Personenkontrolle vorsehe, aber nach dem Willen des Gesetzgebers der Bekämpfung irregulärer Migration dienen soll, könnten die Bundespolizeibeamten gar nicht anders, als ihre Kontrolltätigkeit an »äußerlichen Merkmalen« der Bahngäste festzumachen. Damit handele es sich eindeutig um »racial profiling«, das mit dem Grundgesetz und den völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik unvereinbar sei.
Die Bundesregierung bestätigte auch in ihrer Antwort, daß »Fahndungsmethoden, die nur und ausschließlich an die äußere Erscheinung von Personen anknüpfen, rechtswidrig wären«. Da es allerdings um die Bekämpfung illegaler Einreise und Schlepperkriminalität gehe, sei ein Verbot, polizeiliche Kontrollen auf das äußere Erscheinungsbild zu stützen, »in diesen Fallkonstellationen nicht sachgerecht«. Ein entsprechendes Verbot würde vielmehr dazu führen, daß »notwendige Maßnahmen unterlassen werden müßten«. So ist am Ende doch wieder das äußere Erscheinungsbild ausschlaggebend für eine anlaßlose Kontrolle – was aber ein klarer Verstoß gegen das grundgesetzliche Diskriminierungsverbot darstellt.
Das Deutsche Institut für Menschenrechte, das im übrigen wesentlich aus staatlichen Mitteln finanziert wird, spricht von unverhältnismäßigen Grundrechtseingriffen »ins Blaue hinein« und einem Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, dem kein konkreter Tatverdacht gegenüberstünde. Unfreiwillig bestätigt die Bundesregierung in ihrer Antwort auch diesen Vorwurf. Der Paragraph sei eine »Einstiegsbefugnis«, der zu weiteren Ermittlungen führen könne. Diese haben allerdings kaum noch etwas mit dem Ziel der vermeintlichen Bekämpfung illegaler Einreise und Schleuserkriminalität zu tun. Auf die genannten 466664 Kontrollen im Jahr 2012 kommen so insgesamt 36235 (7,7 Prozent) polizeiliche Feststellungen: 22204 im Bereich der Personen- und Sachfahndung und 14031 Verdachtsfälle auf Straftaten. Davon standen wiederum 3757 Fälle nur in Zusammenhang mit illegaler Einreise oder illegalem Aufenthalt. Lediglich 0,7 Prozent dieser Paßkontrollen führten also zur Feststellung eines Verdachts, der irgendwie mit dem eigentlichen Zweck der Befugnis zu tun hat.
Noch gravierender ist die gesellschaftspolitische Wirkung dieses rassistischen Kontrollwahns. Denn mit jeder Kontrolle werden bei umstehenden Fahrgästen Ressentiments gegen vermeintlich kriminelle Ausländer gestärkt – schließlich gehen die meisten davon aus, daß es schon einen Grund geben wird, wenn jemand von der Polizei angehalten wird. Die Norm ist deshalb nicht nur an sich diskriminierend und rassistisch, sie stärkt auch den Rassismus in der Mitte der Gesellschaft.