Die Zahl der Asylbewerber in Deutschland ist im September einer Vorabmeldung des Spiegels zufolge gestiegen. Es seien 11461 Anträge gestellt worden, berichtete das Magazin am Sonntag unter Berufung auf die neuesten Daten des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge. Im August waren 9502 Asylbewerber registriert worden. Insgesamt hätten in den ersten neun Monaten des Jahres 74194 Menschen Aufnahme und Schutz in Deutschland beantragt. Die meisten Asylbewerber des vergangenen Monats trafen dem Bericht zufolge aus Serbien ein. Doch auch immer mehr Flüchtlinge aus dem syrischen Kriegsgebiet versuchen, vor der Gewalt in ihrer Heimat nach Europa und nach Deutschland zu entkommen. An diesem Montag und Dienstag treffen sich die EU-Innen- und Justizminister in Luxemburg zu ihrer Ratssitzung. Eins der zentralen Themen wird dort auch die Aufnahme syrischer Flüchtlinge sein – neben der weiteren Debatte zur EU-Datenschutz-Grundverordnung.
Mit dem zuletzt genannten unmittelbar geltenden Rechtsakt der Union sollen die unterschiedlichen Datenschutzniveaus in den einzelnen Mitgliedsstaaten vereinheitlicht werden. Ein erster Anlauf war im Juni gescheitert, nachdem es massive Kritik an einer Absenkung des Niveaus gegeben hatte. Aktuell dreht sich die Debatte um die Frage, wie die datenschutzrechtlichen Belange der Bürger im Kompetenzwirrwarr parallel arbeitender nationaler Datenschutzbehörden und einer entsprechenden EU-Aufsicht durchgesetzt werden sollen. Daneben geht es um Vorschläge für die Einrichtung einer Europäischen Staatsanwaltschaft und um eine Organisationsreform bei der Europäischen Agentur für die justitielle Zusammenarbeit in Strafsachen (EUROJUST).
Ebenfalls auf der Tagesordnung steht der angebliche Mißbrauch der EU-Freizügigkeitsregeln, der unter anderem vom Bundesinnenministerium in Zusammenhang mit der sogenannten Armutsmigration aus Rumänien und Bulgarien beklagt wird. Die EU-Kommission wird einen Zwischenbericht dazu vorlegen, der auf Informationen aus 18 EU-Staaten beruht. Die Bundesregierung hat nach eigenen Angaben einen Bericht mit umfangreichen statistischen Angaben abgeliefert. Bislang hatte das Merkel-Kabinett auf Nachfragen der Linken-Fraktion im Bundestag erklärt, keinerlei statistische Angaben zur sogenannten Armutsmigration machen zu können.
Den vordringlichsten Klärungsbedarf gibt es zum Umgang mit Flüchtlingen aus Syrien. Das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR fürchtet eine Destabilisierung der syrischen Nachbarländer wie des Libanon, die bislang noch ihre Grenzen offenhalten. Anders die EU-Staaten: Nachdem Griechenland sie nicht mehr passieren läßt, versuchen die Flüchtlinge vermehrt, über die türkisch-bulgarische Grenze zu fliehen. Während in den vergangenen Jahren kaum mehr als 1000 Asylsuchende pro Jahr nach Bulgarien einreisten, kommen dort derzeit täglich bis zu 80 Flüchtlinge an. Die staatlichen Stellen sind nicht in der Lage, wenigstens eine Grundversorgung mit Unterkünften und Lebensmitteln sicherzustellen. Bis Ende des Jahres rechnet das Innenministerium in Sofia mit 10000 syrischen Flüchtlingen. Der Ressortchef drohte deshalb, die Grenze zur Türkei komplett zu schließen. Dann würden noch mehr Menschen den gefährlicheren Weg über das Mittelmeer bis nach Italien wagen. Bis Mitte September kamen auf dieser Route 4600 Flüchtlinge in Italien an. Wie viele darüber hinaus die Fahrt nicht überlebt haben, ist unbekannt.
Das Schiffsunglück vom vergangenen Donnerstag vor Lampedusa, bei dem nur 150 der rund 500 Passagiere gerettet werden konnten, hat wieder einmal vor Augen geführt, in welche Todesgefahr Menschen durch die europäische Abschottungspolitik getrieben werden.
Trotz dieser Lage sind die EU-Innenminister weder zu einer Öffnung der Grenzen noch zu einer koordinierten Aufnahme von syrischen Flüchtlingen bereit. Nach Angaben des UNHCR liegen derzeit Aufnahmezusagen aus nur neun EU-Staaten für gerade einmal 7000 Personen vor, 5000 davon werden in die Bundesrepublik kommen. Eine »Richtlinie zur vorübergehenden Aufnahme von Vertriebenen« aus dem Jahr 2001 bietet die Möglichkeit für ein gemeinsames Vorgehen der EU. Die Richtlinie sieht vor, daß sich alle Mitgliedsstaaten an einem Aufnahmeprogramm beteiligen und diejenigen finanziell unterstützen, die in besonders großer Zahl Flüchtlinge aufnehmen. Der Rat der Innenminister ist das Gremium, das über die Anwendung dieser Richtlinie entscheidet. Doch noch steht ein solcher Beschluß nicht einmal auf der Tagesordnung. Flüchtlinge werden also weiter ihr Leben riskieren müssen, wenn sie sich nach Europa retten wollen.