Sowohl vor als auch nach dem zweiten großen Bootsunglück vor Lampedusa setzen die verantwortlichen deutschen Politiker auf business as usual. Nach der Äußerung von Betroffenheitsfloskeln verkünden sie, es müsse alles so bleiben, wie es sei. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) gab sich überzeugt, »selbstverständlich« brauche die Asylpolitik nicht geändert zu werden. Und CSU-Innenexperte Hans-Peter Uhl meinte, man müsse »die Vorkommnisse« nüchtern betrachten: Für konkrete Hilfe für Menschen in Not »müßten die Mittelmeeranrainer sorgen«, die Asylgesetze aber bleiben, wie sie sind. Auch für EU-Kommissar Günther Oettinger (CDU) war der Tod von Flüchtlingen Anlaß zur Klage – daß sie es überhaupt bis vor die europäische Küste geschafft haben: »Wir haben löchrige Grenzen«, die dringend besser überwacht werden müßten, sagte er am Montag. Gleichsam als Trostpflaster solle es dafür mehr Entwicklungshilfe geben (die ja, wie bekannt, meist den Unternehmen im Norden der Welt nützt).
Vom EU-Parlament kommen auch kaum hilfreiche Beiträge. Es segnete am 10. Oktober, wenige Tage nach der Schiffskatastrophe mit über 350 Toten, die Installation des neuen Überwachungssystems »Eurosur« ab, mit dem das Mittelmeer und das Schwarze Meer noch besser nach »illegalen« Menschen abgesucht werden können. Die EU-Parlamentarier stimmten sogar zur, obwohl ihre frühere Forderung, »Eurosur« müsse explizit auch der Seenotrettung dienen, von der EU-Kommission abgelehnt worden war. Immerhin verlangte EU-Parlamentspräsident Martin Schulz in einem Interview am Montag, Europa müsse »endlich anerkennen, daß es ein Einwanderungskontinent ist« und seine Gesetze entsprechend ändern. Neben der richtigen Forderung nach einer anderen Verteilung von Asylsuchenden auf die EU-Staaten und Kritik am Rechtspopulismus von Friedrich beschränkte sich Schulz dann aber auf den Vorschlag, »ein legales Einwanderungssystem« nach dem Vorbild der USA, Australiens oder Kanadas einzuführen. Nur so könnten Menschen davon abgehalten werden, »sich unmoralischen Schleppern auszuliefern, die aus ihrer Hoffnungslosigkeit ein Geschäft machen«. Friede, Freude, Eierkuchen an der US-amerikanisch-mexikanischen Grenze? Durch ganz Süd- und Mittelamerika zieht sich die Schlange der Verzweifelten auf dem Weg nach Norden, bis sie vor einem der höchsten und bestbewachten Zäune der Welt stehen. Ohne Schleuser läuft auch dort nichts.
Der Präsident des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge zieht den Vorschlag aus dem Hut, bei »Wirtschaftsflüchtlingen« zunächst zu prüfen, ob sie nicht dringend benötigte Qualifikationen für den deutschen Arbeitsmarkt haben und solchen ohne Asylverfahren einen Aufenthaltstitel zu geben. Klar: Diejenigen, die für die hiesige Wirtschaft nützlich sind, dürfen kommen und bleiben. Selbst solche Vorschläge lehnt das Bundesministerium des Innern aber strikt ab.
Klare Worte kommen ausnahmsweise von der katholischen Kirche. Der Papst wies schon vor knapp 14 Tagen darauf hin, daß die Migranten keine »Wirtschaftsflüchtlinge« sind, sondern Menschen, die unterdrückt werden: Sie fliehen vor der »Sklaverei des Hungers«, da sei die EU-offizielle Gleichgültigkeit ganz und gar unchristlich. Nur zeigt sich, daß das Abendland auch gut weghören kann, wenn von der Kirche mal etwas Positives kommt. Von den Bundestagsparteien ist nur die Linke mit dem Papst: Sie fordert die Abschaffung der Drittstaatenlösung und die Eröffnung sicherer Wege zu einem fairen Asylverfahren.