Die bevorstehende große Koalition will verstärkte Initiativen gegen »unerwünschte« Zuwanderer in die Europäische Union unternehmen und neue Überwachungsgesetze einführen. Darauf haben sich Union und SPD in ihrem Koalitionsvertrag, der gestern veröffentlicht wurde, verständigt.
Unter dem Abschnitt »Integration« wird zunächst wohlklingend die Stärkung der »Willkommens- und Anerkennungskultur« beschworen. »Jeder Neuzuwanderer soll die Gelegenheit zu einem Erstberatungsgespräch über Angebote zur Integration bekommen.« Das »Angebot« entpuppt sich allerdings als Vorschrift. »Die Verbindlichkeit der Beratung wird durch Integrationsvereinbarungen gewährleistet«, d.h.wer sich nicht nach den Erwartungen der Ausländerbehörden integriert, macht sich gleichsam vertragsbrüchig. Darauf lassen sich wiederum Sanktionsmaßnahmen gründen, die im Papier noch nicht ausdifferenziert werden.
Zum Aussieben von Neuzuwanderern sollen ihnen »Vorintegrationsmaßnahmen schon im Herkunftsland« abverlangt werden, das war in der Vergangenheit stets ein Code für verschärfte Einwanderungshürden. Der Flüchtlingsschutz für Menschen aus dem Westbalkan wird faktisch abgeschafft: Länder wie Bosnien-Herzegowina und Serbien, aus denen jährlich einige tausend Roma vor politischer und sozialer Unterdrückung fliehen, sollen künftig als »sichere Drittstaaten« gelten.
Abschottung ist aber auch innerhalb der EU vorgesehen. Mit dem Vorwand, die »Akzeptanz für die Freizügigkeit in der EU zu erhalten«, sollen sogenannte Armutsmigranten aus anderen EU-Staaten bekämpft werden, die hier »unberechtigt« Sozialleistungen beziehen. Hier werden, anders als sonst im Entwurf, gleich mehrere Stichwörter benannt: konsequenter Verwaltungsvollzug, besserer behördlicher Datenaustausch, »aufsuchende Beratung«, Leistungsausschlüsse in der Grundsicherung und nicht zuletzt die Möglichkeit, daß mißliebige EU-Bürger abgeschoben und mit einer Wiedereinreisesperre belegt werden. Das wäre das Ende der EU-Freizügigkeit.
Regelrecht zynisch wird es, wenn die potentiellen Koalitionäre bei der Flüchtlingspolitik »mehr Solidarität unter den EU-Mitgliedstaaten« fordern. Gerade Deutschland hat sich in den letzten Jahren beharrlich dieser Solidarität verweigert. Denn dazu würde vor allem eine Aufweichung der starren Regel gehören, wonach Asylanträge immer von jenem Land zu behandeln sind, das ein Flüchtling zuerst betritt. Staaten wie Griechenland, Italien und Malta sind damit heillos überfordert, doch Bundesinnenminister Hans Peter Friedrich (CSU) hat vor wenigen Wochen, nachdem vor Lampedusa mehrere hundert Menschen beim Untergang eines Flüchtlingsbootes ertranken, jegliche Änderung dieser Politik zurückgewiesen.
Union und SPD wollen zudem, daß die Bereitschaft von Herkunfts- und Transitstaaten »bei der Bekämpfung der illegalen Migration geweckt oder gestärkt« wird. Im Klartext bedeutet das, die Polizeiapparate insbesondere der nordafrikanischen Staaten weiter aufzurüsten, ungeachtet ihrer inneren Verfassung.
Immerhin: Das Papier sieht auch einige Verbesserungen vor. Doppelte Staatsbürgerschaft wird jetzt zumindest bei in Deutschland geborenen Kindern ausländischer Eltern »akzeptiert«. Für langjährig »geduldete« Flüchtlinge soll es eine stichtagsunabhängige Bleiberechtsregelung geben, sofern sie ihren Lebensunterhalt »überwiegend« selbst bestreiten. Schutzsuchende Jugendliche sollen nicht mehr wie bisher schon mit 16 Jahren als asylrechtlich erwachsen gelten, sondern erst mit 18. Das Arbeitsverbot für Flüchtlinge soll nach einem halben Jahr fallen, es bleibt aber beim Vorrang für Deutsche bzw. EU-Bürger. Eher eine Mogelpackung ist die Lockerung der Residenzpflicht, die von den Landkreisen auf die Bundesländer ausgedehnt werden soll – das ist aber in 14 von 16 Ländern ohnehin schon der Fall. Zur Bekämpfung des Neonazismus sollen die Programme gegen rechts endlich auf eine dauerhafte gesetzliche Grundlage gestellt werden und ihre Förderung ausgebaut werden.
Neue Überwachungsgesetze dürfen nicht fehlen: Die Vorratsdatenspeicherung soll nun umgesetzt werden. Die EU-Richtlinie sieht die anlaßlose Speicherung aller Telekommunikations-Verbindungsdaten vor. Ein erstes Gesetz war 2010 vom Bundesverfassungsgericht für grundgesetzwidrig erklärt worden. Wie die neue Koalition dieses Urteil umgehen will, hält der Entwurf nicht fest. Die Parteien wollen auf EU-Ebene darauf »hinwirken«, daß die Speicherdauer auf drei statt auf sechs Monate begrenzt wird. Außerdem wurde vereinbart, die Zentralstellenfunktion des Bundesverfassungsschutzes zu stärken. Die Bundespolizei soll mehr Überwachungskameras aufstellen. Reisende aus Nicht-EU-Ländern sollen in einem gesamteuropäischen Register gespeichert werden.