Wenn die aus dem Bundestag geflogene FDP ein Verdienst während ihrer Regierungszeit hatte, dann das, in Deutschland während der letzten vier Jahre die Vorratsdatenspeicherung verhindert zu haben. Im wesentlichen ist es Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger zu verdanken, daß eine verpflichtende EU-Richtlinie zur anlaßlosen zweijährigen Speicherung aller Telefon- und Internetdaten zur Kriminalitätsbekämpfung nicht umgesetzt wurde. Ihr 2011 vorgelegter Gesetzesentwurf einer anlaßbezogenen Sicherung bereits vorhandener Verkehrsdaten mittels einer »Sicherungsanordnung« (»Quick Freeze«) sowie einer Verbindungsdatenspeicherung für eine Woche konnte weder den nach größeren Vollmachten gierenden Koalitionspartner CDU/CSU noch Juristen- und Journalistenverbände überzeugen. Die »Netzgemeinde« monierte, auch bei »Quick Freeze« sei die Anonymität im Netz nicht mehr gewährleistet. Doch die mit dem Vorschlag verbundene Verzögerungstaktik der Justizministerin ging trotz EU-Bußgelddrohungen und Druck aus dem CSU-geführten Innenministerium letztlich auf.
Nun hat EU-Generalanwalt Pedro Cruz Villalón in einem Rechtsgutachten für den Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg die Datenspeicherrichtlinie aus dem Jahr 2006 für »in vollem Umfang unvereinbar« mit der Grundrechtecharta der Europäischen Union erklärt, da sie gegen das Grundrecht auf Achtung des Privatlebens und der Kommunikation verstoße. Vollständig ausschließen will Villalón – ähnlich wie das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil von 2010 – die Vorratsdatenspeicherung zwar nicht. Doch sein Gutachten bestätigt in zentralen Punkten die Kritik. Mit einem Urteil des EuGH wird erst im Frühjahr gerechnet, doch in der Regel folgt er der Einschätzung seines Gutachters.
Daß vor dem Gerichtshof Verfahren zur Vereinbarkeit der EU-Richtlinie mit den Grundrechten anhängig sind, war auch den Verhandlungspartnern von Union und SPD beim Ausklüngeln ihres Koalitionsvertrages bekannt. Doch ohne ein Urteil abzuwarten, verpflichteten sich die Regierungspartner in spe unter Berufung auf die Richtlinie zur Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung, zumindest in abgespeckter Form. Verwundern sollte das nicht. Schließlich war es die bis vor vier Jahren regierende große Koalition mit ihrem Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU), die trotz massiver Proteste 2007 das drei Jahre später vom Bundesverfassungsgericht gekippte Gesetz zur Speicherung aller Verbindungsdaten verabschiedet hatte.
Christ- und Sozialdemokraten haben sich trotz weltweiter Empörung über den NSA-Abhörskandal bereits vor ihrer offiziellen Regierungsbildung einem absehbar verfassungswidrigen Überwachungsgesetz verschrieben. Das läßt ein Durchregieren ohne Rücksicht auf Rechtsstaatlichkeit unter einer großen Koalition befürchten.