Die Süddeutsche Zeitung berichtete in ihrer Freitagsausgabe über eine Stellungnahme der EU-Kommission an den Europäischen Gerichtshof (EuGH), nach der der pauschale Leistungsausschluß von EU-Bürgern im deutschen Sozialrecht gegen EU-Recht verstößt. Markus Ferber, Vorsitzender der CSU-Gruppe im Europaparlament, warnte die EU-Kommission daraufhin, sie dürfe »vor lauter Solidarität den europäischen Gedanken nicht überstrapazieren«. Der Zugang zum Sozialsystem müsse eher erschwert werden.
Auslöser der Debatte ist ein sogenanntes Vorlageverfahren durch das Sozialgericht Leipzig. In einem solchen Verfahren bitten die nationalen Gerichte den EuGH um eine Auslegung des EU-Rechts. Laut SZ geht es in dem Verfahren um eine 24jährige Rumänin und ihren kleinen Sohn, die seit 2010 dauerhaft in Deutschland leben. Sie lebte zunächst bei ihrer Schwester in Leipzig und erhielt Kindergeld sowie einen Unterhaltsvorschuß vom Jugendamt. Die Mutter, die lediglich drei Jahre die Schule besucht hatte, nahm keine Arbeit auf und beantragte Hartz-IV-Leistungen. Gegen die Ablehnung durch das Jobcenter klagte die Frau. Das Sozialgericht Leipzig will nun wissen, wie weit nationale Regelungen einen Ausschluß von EU-Bürgern aus dem Sozialleistungsbezug vorsehen können. Mit einer Entscheidung ist erst in der zweiten Jahreshälfte zu rechnen.
Das Brey-Urteil
Bereits im vergangenen September hatte der EuGH den Fall eines deutschen Staatsangehörigen zu entscheiden, der in Österreich lebte. Von seiner Rente und dem deutschen Pflegegeld allein konnte er nicht leben und beantragte deshalb Sozialleistungen. Das lehnten die österreichischen Behörden ab, dagegen klagte Peter Brey. Am 19. September 2013 urteilte der EuGH in der Sache Brey, daß die EU-Länder Sozialleistungen nur dann verweigern dürften, wenn ihr Bezug »unangemessen« sei. Die Frage, ob ein Sozialleistungsbezug als unangemessen angesehen wird oder nicht, müsse aber in jedem Einzelfall entschieden werden. Insbesondere, so heißt es in der damaligen Entscheidung weiter, sehe das EU-Recht bei einem nur vorübergehenden Sozialleistungsbezug eine »bestimmte finanzielle Solidarität« mit den EU-Bürgern anderer Staaten vor. Auch wenn es hier um einen Fall in Österreich ging, können die dort entwickelten Grundsätze aber als allgemeingültig angesehen werden. Die EU-Kommission hat nun nichts anderes getan, als diese Grundsätze auf die deutsche Rechtslage anzuwenden und eine entsprechende Stellungnahme an den EuGH abzugeben.
Die Hysterie einiger deutscher Medien und Politiker, »die in Brüssel« wollten mal wieder an den deutschen Geldbeutel, ist daher fehl am Platz. Die EU-Kommission sah sich angesichts der aufkeimenden Debatte sogar zu einer Klarstellung genötigt. »Andeutungen und Anschuldigungen, wonach die Kommission Deutschland drängt, allen ausländischen EU-Bürgern im Land Sozialhilfe zu gewähren, sind natürlich völlig falsch«, ließ sie durch einen Sprecher erklären.
Mit den im Brey-Urteil entwickelten Grundsätzen ist ein pauschaler Leistungsausschluß, wie ihn das deutsche Sozialrecht vorsieht, eindeutig nicht vereinbar. Unbeirrbar behauptet die Bundesregierung allerdings weiterhin das Gegenteil. In einer Antwort auf eine kleine Anfrage der Linksfraktion argumentierte sie, es könne nicht in jeder Konstellation zwingend gefordert werden, eine »auf jeden Lebenssachverhalt bezogene Einzelfallprüfung« durchzuführen. Statt dessen würde sie gerne pauschal ganze Gruppen vom Sozialleistungsbezug ausgrenzen wollen, wie aus der Antwort weiter hervorgeht. Im Blick hat sie dabei vor allem Rumänen und Bulgaren, obwohl mit Stand vom Juli 2013 lediglich jeder zehnte von ihnen (etwa 38000) Hartz IV bezog, das entspricht 0,6 Prozent aller Hartz-IV-Empfänger. Mit 7,4 Prozent liegt ihre Arbeitslosenquote knapp unter der Gesamtarbeitslosenquote von 7,7 Prozent.
CSU in der Kritik
Der Paritätische Wohlfahrtsverband forderte in einer Stellungnahme offensiv die Öffnung von Hartz IV für EU-Bürger. Die Verweigerung führe zu einer Spirale der Verelendung und ziehe Probleme bei Krankenversicherungsschutz, Bildung oder auch der Wohnungssuche nach sich. »Wer hier ist und in Not, hat Anspruch auf Hilfe«, stellte der Verband in einer Mitteilung klar. Auch die Linksfraktion im Bundestag fordert: »Wir müssen die Armut in der EU bekämpfen, nicht die Armen.« Gerade Deutschland als Profiteur der Freizügigkeitsregelungen stehe in der Pflicht, arbeitssuchende Unionsbürger nach Kräften zu unterstützen.
Auch in den eigenen Reihen geraten die Scharfmacher der CSU immer stärker in die Kritik. Der Integrationsbeauftragte der CSU im bayerischen Landtag Martin Neumeyer wandte sich ganz explizit gegen die Parole »Wer betrügt, der fliegt«, mit der seine Partei vor ihrer Klausur in Wildbad Kreuth für Aufsehen gesorgt hatte. Zuwanderung sei ein »Gewinn«, die Integration in Bayern »gut gelungen« und es gebe »vergleichsweise wenig Probleme«. Caritas-Präsident Peter Neher hatte die Parole bei einem Besuch der Klausur als »indiskutabel« bezeichnet.