Rund 377000 Menschen wurden im vergangenen Jahr in deutschen Bahnhöfen und Zügen ohne jeden konkreten Anlaß kontrolliert. Das ergab die Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Linksfraktion, die jW vorliegt. Da die entsprechende Befugnis der Bundespolizei der »Bekämpfung illegaler Einwanderung« dienen soll, geraten Menschen allein aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes in den Fokus der Beamten. Die Effizienz dieser Maßnahme dürfte jedoch in Zweifel stehen: In gerade einmal 1,2 Prozent der Kontrollen – das sind 4613 Fälle – konnte ein Verdacht auf illegale Einreise oder Aufenthalt festgestellt werden. Die Linksfraktion bezeichnete die anlaßlosen Kontrollen in einer Mitteilung als rassistisch und forderte ihre Abschaffung.
Der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), Rainer Wendt, wollte im vergangenen Jahr in einem Interview mit der Tageszeitung taz gar nicht erst dem Vorwurf entgegengetreten, daß Menschen allein aufgrund ihrer Hautfarbe ins Visier der Polizei geraten und »racial profiling« damit selbstverständlicher Teil des Polizeialltags ist. Sein Problem liegt mehr darin, daß die Polizei nicht ausreichend vor Rassismusvorwürfen in Schutz genommen wird. Die Politik solle der Polizei nicht solche Befugnisse geben und hinterher sagen: »Igittigitt, das ist Rassismus«. Wendt war schon in der Vergangenheit auffällig geworden: Als das Oberverwaltungsgericht Koblenz im Prozeß gegen zwei Beamte der Bundespolizei zu dem Schluß kam, polizeiliche Maßnahmen allein aufgrund des äußeren Erscheinungsbildes seien ein Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot des Grundgesetzes, bezeichnete er dies als »schöngeistige Rechtspflege«. Die Bundesregierung will zu diesen Aussagen des Polizeigewerkschafters, der immerhin 94000 der 260000 Beamten im Polizeidienst vertritt, keine Stellung nehmen.
Von seiten der Rechtspflege droht dem Klammern des rechten Gewerkschaftsführers an der rassistischen Kontrollpraxis demnächst weiteres Ungemach. In einem Verfahren vor dem Stuttgarter Verwaltungsgericht geht es um den Angestellten eines Bundesunternehmens, der auf dem Weg im ICE 1. Klasse von Baden-Baden nach Offenburg als einziger Fahrgast kontrolliert wurde – ganz offensichtlich wegen seiner Hautfarbe. Die Beamten rechtfertigten diese Kontrolle mit der Grenznähe der Bahnstrecke. Vor dem Kölner Verwaltungsgericht wird der Fall eines Heilpraktikers aus Bochum verhandelt, der dort am Bahnhof auf seine Freundin wartete. Bei der Personenkontrolle gaben die Bundespolizisten unumwunden an, sie suchten »Afrikaner« und »Syrer«. Der Göttinger Rechtsanwalt Sven Adam, der beide Kläger vertritt, will vor den Gerichten eine Klärung erreichen, ob die Befugnis zur anlaßlosen Kontrolle mit dem Grundgesetz vereinbar sei. Er werde den Gerichten die unmittelbare Vorlage beim Bundesverfassungsgericht vorschlagen. In Fällen von besonderer Bedeutung können Gerichte im Rahmen eines Vorlageverfahrens verfassungsrechtliche Fragen vom Bundesverfassungsgericht klären lassen, bevor sie eine Entscheidung treffen.
Die Klagen werden von Selbstorganisationen wie der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD) und Grundrechtsorganisationen unterstützt. Aus deren Reihe wurde schon in der Vergangenheit regelmäßig der rassistische Charakter von anlaßlosen Kontrollen kritisiert. Anders die Bundesregierung: »›Racial profiling‹ ist rechtswidrig und wird durch die Bundespolizei nicht vorgenommen.« Mit anderen Worten: Es gilt das Prinzip, daß nicht sein kann, was nicht sein darf. Aber auch von der Annahme, die regelmäßige Kontrolle von nicht-deutsch aussehenden Personen stärke Rassismus in der Polizei und in der Bevölkerung, will die Bundesregierung nichts wissen. Sie sieht »keine Veranlassung, entsprechende Untersuchungen zu initiieren oder zu finanzieren.«