Das sogenannte Dublin-System, das die Zuständigkeiten für Asylverfahren in der EU regeln soll, »funktioniert« nicht im Sinne der Regierungen – es hat aber dennoch fatale Folgen für betroffene Flüchtlinge.
Eigentlich sollen Asylverfahren immer in dem Land betrieben werden, das ein Flüchtling zuerst erreicht. Tatsächlich wird die »Dublin«-Regel aber immer seltener umgesetzt, obwohl der Anteil von Flüchtlingen, die aus einem anderen EU-Land nach Deutschland kommen, immer weiter steigt: Im Jahr 2012 waren es noch knapp 18 Prozent, im ganzen Jahr 2013 bereits 32 Prozent, und im vierten Quartal des vergangenen Jahres waren bereits 51,9 Prozent aller Asylantragsteller in Deutschland über ein anderes EU-Land eingereist. Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linksfraktion zurück. Festgestellt wird dies häufig durch einen Vergleich von Fingerabdrücken, die bei Flüchtlingen in jedem EU-Land obligatorisch genommen werden, oder durch Schilderungen der Flüchtlinge selbst.
Bei strikter Anwendung der »Dublin«-Regel müßte demnach mittlerweile jeder zweite Schutzsuchende wieder zurückgeschickt werden in jenes EU-Land, über das er gekommen ist. Das Bundesamt für Migration hat im vorigen Jahr 35280 sogenannte »Überstellungsersuchen« bei den entsprechenden EU-Regierungen gestellt. Am behördlichen Willen zum Hin-und-Herschieben von Flüchtlingen mangelt es in Deutschland nicht – aber es klappt nicht so wie gewollt: Lediglich 4741 Flüchtlinge wurden tatsächlich überstellt, also nur rund 13 Prozent. Die meisten der durchgeführten Überstellungen erfolgten nach Polen, betroffen waren davon vor allem russische Flüchtlinge aus Tschetschenien.
Diese »Ineffektivität« des »Dublin«-Systems ist aber nur scheinbar ein Segen für die Flüchtlinge selbst. Denn auch einer am Ende gescheiterten »Überstellung« geht in der Regel eine mindestens wochenlange Inhaftierung voraus, gegen die es kaum Rechtsmittel gibt. Insbesondere für jene, die in ihren Herkunftsländern oder auf der Flucht schwere Traumatisierungen erlitten haben, ist diese Behandlung unmenschlich, kritisierte am Freitag die Linksfraktion in einer Pressemitteilung.
Die Gründe für die relativ wenigen Überstellungen sind vielschichtig: Zum einen gab es in den letzten Jahren eine Reihe von Verwaltungsgerichtsentscheidungen, die eine Rückschiebung in bestimmte Länder verhinderten. Das betraf etwa Italien, Ungarn, Bulgarien, Malta und Zypern, weil die Richter dort eklatante Mängel im Asylsystem als erwiesen ansahen. Genau wegen der desolaten Lage, in die die Flüchtlinge dort geraten, fliehen sie schließlich weiter in andere EU-Länder. Nach Griechenland gibt es nach wiederholten Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte überhaupt keine Überstellungen mehr. Andere Gründe liegen darin, daß die Aufnahmeländer »ihre« Flüchtlinge schlicht nicht annehmen wollen. Außerdem versuchen die Menschen, sich in ein anderes EU-Land in Sicherheit zu bringen, oder sie tauchen unter – was sie letztlich dazu zwingt, sich als rechtlose »Schwarzarbeiter« durchzuschlagen.
Menschen aus dem Westbalkan will die Bundesregierung künftig den Zugang zu einem ordentlichen Asylverfahren abschneiden. Ein Referentenentwurf des Bundesinnenministeriums sieht vor, Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina als »sichere Herkunftsländer« einzustufen. Diese Kategorie wurde 1993 eingeführt, als das Grundrecht auf Asyl radikal geschliffen worden ist. Asylanträge aus solchen Ländern gelten pauschal als »offensichtlich unbegründet«. Der Rechtsschutz gegen eine ablehnende Entscheidung ist stark eingeschränkt, nach einer Woche müssen die Flüchtlinge wieder ausreisen, ansonsten droht ihnen die Abschiebung.
Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege fordert dagegen, daß eine Einstufung zum sicheren Drittstaat unterbleiben müsse, »wenn auch nur Einzelfälle politischer Verfolgung anerkannt werden«. Das war im vergangenen Jahr immerhin noch bei rund 100 Schutzsuchenden aus Serbien und Mazedonien der Fall. Die meisten Flüchtlinge aus diesen Ländern sind Roma. Die Linksfraktion kritisierte, daß die Bundesregierung nur die formale Rechtslage, aber nicht die tatsächliche Situation und die massive Diskriminierung der Roma in diesen Ländern berücksichtige.