Wer zu einer Demonstration geht, muß wissen können, inwiefern diese von der Polizei beobachtet wird. Soweit ist die Rechtslage klar: »Werden Polizeibeamte in eine öffentliche Versammlung entsandt, so haben sie sich dem Leiter zu erkennen zu geben«, heißt es im Versammlungsgesetz des Bundes. Doch bei der praktischen Umsetzung gibt es erhebliche Mängel, die vor allem den Einsatz von Beamten in Zivil betreffen. Das geht aus einem Gutachten der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages hervor, das die Linksfraktion angefordert hatte.
Das Bundesgesetz gilt in allen Bundesländern, die kein eigenes Versammlungsrecht haben: Bayern, Sachsen und Niedersachsen haben es übernommen, nur Sachsen-Anhalt hat darauf verzichtet. Dort brauchen sich Polizisten demnach überhaupt nicht zu identifizieren, solange sie nur beobachtend tätig sind.
Die Frage nach dem Ausmaß der Identifizierungspflicht wurde relevant, nachdem das Verwaltungsgericht Göttingen im vergangenen November geurteilt hatte, sämtliche Beamte in Zivil hätten sich bei einer Demo gewissermaßen zu outen. Sinn des Gesetzes sei nämlich die »jederzeitige Unterscheidbarkeit von Versammlungsteilnehmern und Polizeibeamten«. Das bedeutet nicht, daß sich jeder einzelne Polizist unter Vorzeigen seines Dienstausweises beim Demoleiter vorstellen muß – das wäre bei Großeinsätzen für beide Seiten eher hinderlich. Polizisten, die Uniform tragen, geben sich schon durch diese »zu erkennen«. Es genügt dann, wenn sich der Einsatzleiter persönlich vorstellt. Anders, so die Göttinger Richter, sei es bei Polizisten, die in Zivilkleidung erscheinen: Da diese nicht per Augenschein zu erkennen seien, müssen sie sich »individuell« beim Versammlungsleiter melden. Das ergebe sich unmittelbar aus dem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit, die so weit wie möglich frei von staatlichem Einfluß bleiben soll. Bürger, die ihre Grundrechte wahrnehmen, sollen nicht unerkannt von der Polizei beobachtet werden.
Es liegt auf der Hand, daß das bei der Polizei und den zuständigen Innenministerien keine Freude auslöst, nutzen sie doch Zivilbeamte gerne zum heimlichen Ausspähen von Demos und von tatsächlichen oder behaupteten Straftaten, die dort begangen werden. Eine Anfrage der Bundestags-Wissenschaftler bei den 16 Innenministerien ergab denn auch, daß eine strikte Auslegung des Versammlungsgesetzes nur in zwei Ländern erfolgt: Im Saarland und in Rheinland-Pfalz, heißt es, geben sich Zivilkräfte bei Versammlungen grundsätzlich gegenüber dem Versammlungsleiter zu erkennen. Abgelehnt wird die Identifizierung von nicht uniformierten Polizisten hingegen von elf der Ressortchefs, darunter die aus den großen Flächenländern Baden-Württemberg, Bayern, Niedersachsen – das Revision gegen das Göttinger Urteil eingelegt hat –, Sachsen und Nordrhein-Westfalen. In diesen Ländern werde »keine Unterscheidung« zwischen uniformten und nichtuniformierten Polizisten vorgenommen – das bedeutet im Klartext, daß sich lediglich der Einsatzleiter vorstellt und die Polizisten in Zivil unerkannt bleiben. Auch das von der Linkspartei mitregierte Brandenburg gehört zu diesen Verweigerern. Zivile Kräfte stellten sich dort »aus Gründen der Eigensicherung« nicht vor, wird mitgeteilt. Die gesetzliche Kennzeichnungspflicht, die es dort ansonsten gibt, gilt für sie nicht. In Sachsen-Anhalt existiert ohnehin keine Identifizierungspflicht, und die Länder Hessen und Bremen erklären, keine Beamten in Zivil einzusetzen. Hier muß allerdings eingeschoben werden, daß von den Wissenschaftlichen Diensten naturgemäß nicht überprüft werden konnte, ob das tatsächlich immer so eingehalten wird. Anmelder von Demonstrationen bzw. Versammlungsleiter tun gut daran, im Einzelfall beim Einsatzleiter explizit nach Zivilbeamten zu fragen – und wenn dieser sich weigert, Angaben zu machen, oder nachweisbar falsche Auskünfte erteilt, eine Klage zu erwägen.