Rede zu TOP 21 in der 34. Sitzung des Deutschen Bundestages, 9. 5. 2014
Erstes Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigung in einem Ghetto.
Ulla Jelpke (DIE LINKE):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es wird in der Tat höchste Zeit für diesen Gesetzentwurf, der Ungerechtigkeiten beim Umgang mit früheren Gettobewohnern und -bewohnerinnen endlich beendet. Die Umsetzung dieses Gettorentengesetzes ist wahrlich kein Ruhmesblatt gewesen. Erst hatte man den Überlebenden eine Rente zugesagt, dann hat man 90 Prozent aller Anträge abgelehnt. Wie demütigend muss es für die Betroffenen gewesen sein, sich von deutschen Beamtinnen und Beamten und von der Rentenkasse den Vorwurf anhören zu müssen, sie seien gar nicht in einem Getto gewesen oder sie hätten dort nicht „freiwillig“ gearbeitet?
Erst 2009 hat das Bundessozialgericht eine Neuüberprüfung angeordnet, in deren Folge wenigstens die Hälfte der Anträge doch noch bewilligt wurde. Prompt kam die nächste Ungerechtigkeit: Obwohl versprochen war, dass die Rente ab 1997 auszuzahlen ist, flossen die Gelder erst mit Wirkung ab 2005. Das ist nicht nur eine gefühlte Ungerechtigkeit, wie es in der Gesetzesbegründung heißt.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Für viele Überlebende geht es sehr praktisch darum, dass ihnen Tausende von Euro verlorengegangen sind, zum Beispiel einem 90-Jährigen, der Anspruch auf 8 000 Euro Nachzahlung hätte. Dass ihm bisher vorgerechnet wurde, er werde diese Summe durch den höheren Rentenzuschlag bis zu seinem 98. Geburtstag ausgeglichen haben, ist einfach absurd gewesen. Deswegen ist es richtig, diese Nachzahlungen jetzt zu ermöglichen.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Richtig ist ebenfalls, jetzt auch solche Gettos zu berücksichtigen, die nicht direkt von den Nazis kontrolliert worden waren, sondern von ihren Komplizen und Komplizinnen, etwa in der Slowakei und in Rumänien. Auch das Getto in Schanghai konnte ja nur eingerichtet werden, weil die Nazis mit ihrer Vernichtungspolitik Juden und Jüdinnen dazu zwangen, zu fliehen. Dieses Unrecht so weit wie möglich wiedergutzumachen, gehört zur deutschen Verantwortung. Ich bin angenehm überrascht davon, dass der Entwurf von Ministerin Nahles dieser Verantwortung in einem so weitreichenden Umfang nachkommt.
(Beifall bei der LINKEN und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Kai Whittaker (CDU/CSU))
Zur Selbstzufriedenheit, meine Damen und Herren, gibt es trotzdem keinen Grund. Ich möchte daran erinnern, dass die jetzige Lösung für Tausende von Betroffenen zu spät kommt. Rund 7 000 Menschen haben schon die Neuüberprüfung der Anträge 2009 nicht mehr erlebt. Vorstöße der Linken, der SPD und der Grünen, die in eine ähnliche Richtung zielten wie der jetzt vorliegende Gesetzentwurf, wurden vor einem Jahr mit Stimmen der Union und der FDP abgeblockt. Seither sind wieder einige Hundert Betroffene gestorben.
Ich möchte die Gelegenheit nutzen, mich bei den Holocaustüberlebenden ausdrücklich für ihre Kraft zu bedanken, beharrlich ihr Recht einzufordern. Das gilt auch für Historiker und mutige Richter, denen es zu verdanken ist, dass das Bundessozialgericht in seinem Beschluss von 2009 die Ablehnungspraxis kritisch beurteilt hat.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ich möchte an dieser Stelle namentlich den Sozialrichter Jan-Robert von Renesse nennen, der schon früh erkannt hatte, dass die Formulare der Rentenkassen dem Schicksal der NS-Opfer nicht gerecht wurden, und deswegen persönliche Anhörungen auch in Israel durchführte. Dafür wurde er von seinen Vorgesetzten zusammengestaucht, gemobbt und von diesen Fällen abgezogen. Gedankt wurde ihm nur von den Überlebenden. Wir, die Linke, möchten uns diesem Dank ausdrücklich anschließen
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
und das Justizministerium in NRW auffordern, die Schikanen gegen Richter Renesse endlich einzustellen.
(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Zum Schluss möchte ich noch einen Appell an die Bundesregierung richten: Vergessen Sie nicht die Überlebenden der polnischen Gettos! Es wird gern übersehen, dass in Polen lebende Betroffene bisher keinen Cent an Renten erhalten haben. Das liegt an zugegebenermaßen komplizierten Regelungen des deutsch-polnischen Sozialversicherungsabkommens, was aber kein Grund sein kann, dieses spezielle Unrecht einfach hinzunehmen.
(Beifall bei der LINKEN)
Ministerin Nahles war dieser Tage in Polen und hat leider wieder keine Lösung mitgebracht, nur die Ankündigung, dass weitere Gespräche geführt werden. Frau Nahles sie ist heute nicht da; aber die Staatssekretärin kann das sicherlich übermitteln , das reicht nicht. Wir denken, dieser Punkt darf nicht auf die lange Bank geschoben werden; sonst lebt kein Betroffener mehr.
Wenn es darum geht, Gerechtigkeit für NS-Opfer herzustellen, haben wir schon viel zu viel Zeit verloren. Deshalb ist es gut und richtig, dass wir uns heute, was den hier vorgelegten Gesetzentwurf betrifft, einig sind. Ich hoffe auch, dass er so schnell wie möglich verabschiedet wird, damit die Renten endlich ausgezahlt werden.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)