Erklärung: Keine „Bewaffnung der KurdInnen“, sondern Anerkennung von Rojava und Aufhebung des PKK-Verbots! Sofortige Sanktionen gegen IS unterstützende Staaten!

Auch wenn die kurdischen JesidInnen nach wie vor mit der Gefahr eines Genozids durch die Terrororganisation Islamischer Staat (IS, früher ISIS) konfrontiert und die ChristInnen, SchiitInnen und die anderen KurdInnen Massaker und größter Vertreibung in Syrien, im Irak und in Kurdistan ausgesetzt sind, lehnen wir die in den aktuellen Diskussionen geforderten Waffenlieferungen an die „KurdInnen im Irak“ ab. Obwohl viele von uns einen kurdischen Migrationshintergrund und somit einen persönlichen Zugang zum Thema haben, vertreten wir diese Position.

AntimilitaristInnen und auch DIE LINKE vertreten zu Recht die Meinung, dass Waffenlieferungen kein Beitrag zu einer Konfliktlösung sind. Zum einen, weil alle Staaten der Region sie gegen unterdrückte Bevölkerungsgruppen und Oppositionelle einsetzen. Ebenso wechseln exportierte Waffen nicht selten ihre Besitzer, wie im Beispiel der vor vielen Jahren an Syrien gelieferten Milan-Raketen, die nun vom IS gegen die KurdInnen und andere eingesetzt werden. Zum anderen, weil die Außenpolitik der BRD, EU, USA, Russlands und der anderen Großmächte sich nicht an demokratischen Werten und Menschenrechten orientiert, sondern wirtschaftliche und politische Interessen verfolgt. In diesem Kontext begreifen wir die westlichen Waffenlieferungen an die Peshmergas der Kurdistan Regionalregierung in Nordirak.
Dringend notwendig ist hingegen die Intensivierung der humanitären Hilfe für die JesidInnen, ChristInnen, schiitischen TurkmenInnen und alle anderen Flüchtlinge durch die internationale Staatengemeinschaft und die Einbeziehung aller kurdischen Akteure. Dazu gehört die Grenze zwischen der Türkei und Rojava für Flüchtlinge und die Verteidigungskräfte zu öffnen und sie endlich für die IS zu schließen.

Seit über zwei Jahren rüsten die „Partner des Westens“ Saudi-Arabien und Katar die vielleicht weltweit gefährlichste Terrororganisation IS für den syrischen Bürgerkrieg auf, was ohne den NATO-Staat Türkei nicht möglich gewesen wäre. Die türkische Regierung öffnet die Grenzen für die Geld- und Waffenlieferungen, ermöglicht die Ausbildung der internationalen IS-Kämpfer in speziellen Lagern und lässt sie in türkischen Krankenhäusern behandeln. Doch die Regierungen der EU-Staaten und der USA schweigen zum Verhalten ihrer Verbündeten und Partner beharrlich. Vor allem durch sein Erstarken im Syrien-Krieg konnte der IS nun im Irak viele Gebiete erobern und sein Terrorregime ausweiten.
Warum schweigen die westlichen Staaten? Es geht um die wirtschaftliche und politische Kontrolle der Region und die Zerschlagung der selbstbefreiten drei, mehrheitlich kurdisch besiedelten Gebiete im Norden Syriens – genannt Rojava. In Rojava (Westkurdistan) haben wir ein gut funktionierendes demokratisches Modell, mit dem KurdInnen (einschl. JesidInnen), AssyrerInnen, ArmenierInnen, AraberInnen und andere gemeinsam eine autonome Selbstverwaltung aufgebaut haben; als Alternative zum Assad-Regime und zur nationalistisch-islamistischen Opposition. Es ist eindeutig:
Die Angst vor einer demokratischen Alternative und damit vor einer wirklichen Perspektive im Mittleren Osten eint alle Reaktionäre, Diktaturen und Schein-Demokraten in der Region und der Welt!

Gerade die Volksverteidigungseinheiten (YPG) aus Rojava sind sofort nach Shengal (Südkurdistan) geeilt, als der IS diese Region zu erobern anfing, und konnten zehntausende JesidInnen und andere Menschen über einen Korridor nach Rojava retten. Die Peshmergas der Kurdistan Regionalregierung – Partner der Türkei und USA – haben durch einen taktischen Rückzug aus der Region der JesidInnen dem IS erst den militärischen Raum für einen Angriff geöffnet. Es sind die YPG, unterstützt von der PKK, die in Syrien die einzige Kraft sind, welche die Mörderbande IS erfolgreich bekämpft und eben auch im Nordirak den Widerstand organisiert. Trotzdem werden sie in den internationalen Medien weitgehend verschwiegen.
Den Korridor verteidigen auch die HPG-Guerillakräfte der PKK, die von Anfang an mit Rojava solidarisch sind. Beide sind Teil der linken kurdischen Freiheitsbewegung. Die PKK kämpft seit Tagen auch erfolgreich vor Hewler (Erbil) und Kirkuk gegen den IS in Zusammenarbeit mit den Peshmergas. Die PKK verteidigt wie die YPG aufgrund ihrer politischen Grundsätze in konsequenter Weise nicht nur KurdInnen, sondern alle Menschen dieser Region vor den Mörderbanden des IS.

Wenn die Bundesrepublik und der Westen tatsächlich eine Stärkung der KurdInnen und eine Schwächung des IS im Mittleren Osten wollen, sollten sie nicht zuerst an Waffenlieferungen an die Peshmergas denken, sondern daran, dass alle kurdischen Akteure in die Gespräche über Hilfsmaßnahmen und politische Unterstützungsmöglichkeiten einbezogen werden, nicht nur die KDP unter Barzani. Die YPG und PKK haben gezeigt, dass sie erfolgreich Widerstand gegen den IS leisten können. Wichtig ist es, dies nicht zu erschweren oder zu hinterlaufen. Die Peshmergas haben in den vergangenen Jahren und auch in den letzten Tagen die JesidInnen, ChristInnen und schiitischen TurkmenInnen nicht schützen können – ohne die PKK wäre zum Beispiel die Kleinstadt Mahmur nicht wieder zurück erobert worden. Dies liegt vor allem daran, dass die Peshmergas der Verwaltung der Kurdistan Regionalregierung unterstehen, die autoritäre und korrupte Formen angenommen hat. Es ist nicht vorhersehbar, wie sie die Waffen nach dem Zurückdrängen des IS einsetzen wird, unabhängig davon, welche politischen und wirtschaftlichen Bedingungen an die Waffenlieferungen des Westens geknüpft werden.

Aus diesen Gründen fordern wir

1) Massive Ausweitung der humanitären Hilfe und Rettung der eingeschlossenen Zivilisten.
Zehntausende JesidInnen aus Shengal sind in den letzten Tagen nach Rojava geflüchtet und benötigen dringend humanitäre Hilfe. Den Hilfsorganisationen muss der Zugang zu diesen Flüchtlingen ermöglicht werden. Der Westen und alle anderen Akteure müssen alles tun, damit die Türkei endlich ihre Grenzen zu Rojava für Flüchtlinge und Hilfe öffnet Und für die IS schließt! Das Embargo ist menschenverachtend und führte bereits zum Tod vieler Menschen.
2) Stopp aller Waffenlieferungen in den gesamten Mittleren Osten! Keine Waffenlieferungen an die IS-Unterstützer Saudi-Arabien, Katar und Türkei!
3) Die Aufhebung des PKK-Verbots und die Einstellung jeglicher Repressionen gegen KurdInnen in der BRD und auf internationaler Ebene sind längst überfällig! Die KurdInnen sind heute der wichtigste Faktor für die Demokratisierung des Mittleren Ostens, insbesondere in den Staaten Türkei, Iran, Irak und Syrien. Dies ist vor allem durch die PKK und ihre demokratische, emanzipatorische und internationalistische Linie möglich geworden. Die PKK muss von der Terrorliste der EU gestrichen werden und ihre inhaftierten Mitglieder müssen freigelassen werden!

4) Die drei demokratisch-autonomen Selbstverwaltungen in Rojava (Cizîre, Kobani und Afrin) müssen international anerkannt werden, damit diese in ihrem Kampf gegen IS gestärkt werden und die existierende demokratische Praxis als Lösungsmodell in Syrien breiter wahrgenommen und diskutiert wird. Nur dieses demokratische Modell kann den mörderischen Krieg und die tiefen gesellschaftlichen Gräben in Syrien überwinden. Eine Stabilisierung von Rojava hat positive Einflüsse auf den Irak und Südkurdistan, aber auch auf die Türkei und Nordkurdistan. Die Bundesregierung darf die Partei der Demokratischen Einheit (PYD) nicht länger politisch boykottieren.

5) Die Bundesregierung muss ihre politischen und wirtschaftlichen Einfluss nutzen und endlich wirksamen Druck auf die Türkei ausüben, damit sie jegliche Unterstützung für die IS-Terroristen einstellt. Ohne die logistische Unterstützung, den Nachschub an internationalen Kämpfern (auch aus der BRD), Geld und Waffen über die Türkei kann der IS seine starke Stellung in Syrien nicht lange aufrechterhalten.

6) Die Organisationsstrukturen des IS müssen auf internationaler Ebene verfolgt und zerschlagen werden. Der IS darf weder in der Bundesrepublik noch andernorts frei agieren. Seine Finanziers – vor allem in den Golfstaaten – müssen mit harten Sanktionen belegt werden.

SprecherInnenrat des Bundesarbeitskreises „Demokratie in der Türkei, Frieden in Kurdistan“

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