Seit einer Woche sind türkische Panzer entlang der Grenze stationiert. Brutal gehen Armee und Polizei gegen Tausende Demonstrantinnen und Demonstranten vor, die sich mit den Verteidigern von Kobani solidarisieren. Die türkische Armee verhindert, dass weitere Freiwillige aus der Türkei nach Kobani gelangen können, um sich den YPG anzuschließen. Gleichzeitig können weiterhin IS-Kämpfer unter den Augen der Armee die Grenze überqueren, es gibt zudem weitere Berichte über Waffen- und Munitionslieferungen. Die offene Unterstützung des IS durch den NATO-Partner Türkei hat selbst US-Vizepräsident Joe Biden thematisiert – um sich kurz darauf bei Präsident Erdogan für eine solche Bemerkung zu entschuldigen. Das türkische Parlament hat die Regierung jetzt ermächtigt, eine mit Hilfe der Armee eine Sicherheitszone im Norden Syriens zu schaffen. Offen spricht die AKP-Regierung unter Präsident Erdogan aus, dass sich eine solche Sicherheitszone nicht nur gegen den IS sondern auch gegen die PKK – und damit gegen die Selbstverwaltung in Rojava – sowie die syrische Regierung richten soll. Mit der weiteren Unterstützung des IS will Ankara zuerst Kobani sturmreif schießen und die Bevölkerung zur Flucht treiben, um sich dann als Retter zu inszenieren und in den Norden Syriens einschließlich Teilen von Rojava einzumarschieren und die Selbstverwaltung in Rojava zu zerschlagen. Auch die USA scheinen diesem Plan nicht abgeneigt.
Bislang zeigte sich die Luftangriffe der US-geführten Anti-IS-Allianz in Syrien wenig effektiv. Die Mehrzahl dieser Angriffe scheint eine strategische Ausrichtung zu haben und sich etwa gegen Ölförderanlagen unter Kontrolle des IS zu richten. Durch einige dieser Luftangriffe etwa auf die IS-Hauptstadt Raqqa wurden die dort stationierten IS-Einheiten geradezu in Richtung Kobani gedrängt, so dass sich dort die Angriffe weiter verstärkten. Die wenigen Luftangriffe auf Ziele rund um Kobani – es soll sich um eine einstellige Zahl von Angriffen handeln, konnten die Belagerung der Stadt bislang nicht aufbrechen. Erst vier Stunden nach dem Einmarsch des IS in Kobani erfolgten einige wenige Luftangriffe auf IS-Einheiten im Norden der Stadt. Obwohl die ja schon aus der Türkei sichtbaren Kampfpanzer des IS für zielgenaue Luftangriffe ein leichtes Ziel sein müssten, wurden sie bislang kaum attackiert. Zudem haben die YPG ihre Bereitschaft erklärt, der Anti-IS-Allianz genaue Zieldaten der IS-Stellungen zu übermitteln. Doch die USA lehnen eine Kooperation mit den YPG gegen den IS ab – schließlich gilt die YPG als ein Arm der auf den Terrorlisten von EU und USA geführten PKK.
Es ist offensichtlich: die USA wollten eine Eroberung von Kobani gar nicht verhindern. Verwunderlich ist dies allerdings nicht. Schließlich steht Kobani– wie Rojava insgesamt – für eine gesellschaftliche Alternative zu imperialistischer Dominanz im Nahen Osten. Mit der demokratischen Selbstverwaltung, die in basisdemokratischen Räten alle Bevölkerungsgruppen einbezieht und rechtlich gleichstellt, wird mit dem 100-jährigen Prinzip von Teile-und-Herrsche, des Aufhetzens von Völkern, Ethnien und Religionsgruppen, mit religiöser und nationaler Unterdrückung in monolithischen Staaten gebrochen – eines Prinzips, dessen Nutznießer stets die westlichen Großmächte waren und sind. Kobani war die erste Stadt in Rojava, in der im Juli 2012 die Bevölkerung in einer unblutigen Revolution die Kontrolle übernahm und sich in Volksräten organisierte. Kobani damit auch ein Symbol für einen neuen selbstbestimmten demokratischen Nahen Osten – und dieses Symbol soll zerstört werden, ehe es auf die ganze Region ausstrahlt.
Während die Bundesregierung Waffen an kurdische Peschmerga im Nordirak liefert, fehlt bislang jede Erklärung zur Notstandssituation von Kobani. Auch zur fortgesetzten Unterstützung des IS durch die Türkei schweigt die Bundesregierung beharrlich während sie neue Waffenlieferungen an Staaten wie Katar, die den IS unterstützen oder unterstützt haben, genehmigt. Sollte die Türkei nach Nordsyrien einmarschieren, könnte dies schnell den NATO-Fall auslösen. Schon mit ihren Patriot-Raketen in der Türkei wäre die Bundesrepublik dann Kriegspartei im Nahen Osten.
Die Bundesregierung muss von der Türkei ein unmissverständliches Ende der IS-Unterstützung fordern und andernfalls entsprechende Sanktionen gegen die AKP-Regierung als Terrorunterstützerin einleiten. Es müssen praktische Schritte erfolgen, um ein Massaker an der Zivilbevölkerung zu verhindern. Die Bevölkerung in Kobani braucht jetzt Hilfe. Die Bundesregierung macht sich zur Komplizin, wenn sie nicht endlich ihr Schweigen zu Kobani bricht.