Artikel: Reisen als Terrorakt

Neuer Verdachtsparagraph

 
Von Ulla Jelpke
 
(erschienen in der jungen Welt am 05.02.2015)
 

Wer reisen will, macht sich verdächtig und muss mit Bestrafung rechnen. So lautet die Quintessenz des Gesetzentwurfs, den die Bundesregierung nun ins Parlament einbringen will. Das ist leider nicht nur nutzlose Symbolpolitik, um engagiertes Handeln vorzutäuschen – es ist ein weiterer Schritt zur Unterhöhlung der Demokratie.

Dabei ist die bisherige Regelung des Paragraphen 89a Strafgesetzbuch (»Terrorcamp-Paragraph«) schon schlimm genug: Wer sich in der Handhabung von Waffen unterweisen lässt, um damit Anschläge zu begehen, muss mit bis zu zehn Jahren Haft rechnen. Wie der Nachweis einer kriminellen Absicht erfolgen soll, bleibt den Ermittlern überlassen. Diese Vorverlagerung des Strafrechts von der Tat zu einer (vermeintlichen) Vorbereitungshandlung wird nun erweitert: Künftig soll ebenfalls für bis zu zehn Jahre in den Knast, wer »es unternimmt, zum Zweck der Begehung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat (…) aus der Bundesrepublik Deutschland auszureisen, um sich in einen Staat zu begeben, in dem Unterweisungen von Personen« in sogenannten Terrorcamps erfolgen. Alles klar?

Gerichte müssen künftig nicht nur spekulieren, ob einer in ein Terrorcamp geht, um anschließend vielleicht Anschläge zu begehen. Sie müssen vielmehr schon darüber brüten, ob einer womöglich eine Reise plant, die in ein Land führen könnte, in dem es womöglich Terrorcamps gibt, in denen der Verdächtige womöglich eine »Ausbildung« machen will, um womöglich – usw.

Da kauft sich einer ein Flugticket in die Türkei? Vielleicht sogar ein Muslim? Könnte ja sein, dass er nach Syrien weiterwill. Also, besser mal beobachten. Und wenn mit dem Auto »zum Überschreiten der Landesgrenzen angesetzt wird«, so sieht es das Gesetz vor, klicken die Handschellen. Wer so einem Reisewilligen auch nur ein bisschen Geld gibt, soll zukünftig ebenfalls dafür bestraft werden.

Tatsächlich kommt selbst aus Polizeikreisen vernichtende Kritik an diesem »Gesetz für die Galerie«, wie es etwa der Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) nennt. In der Praxis sei nämlich der Nachweis der kriminellen Absicht kaum zu führen. Da liegt die Krux: Rechtsstaatlich saubere Verurteilungen wird es kaum geben, umso willkürlicher wird der Spielraum für den Staatsschutz, Verdächtige abzuhören, zu observieren, ihre E-Mails abzufangen und ihre Bankkonten zu überwachen. Und das muss sich nicht auf gefährliche Dschihadisten beschränken. Aus Sicht der Bundesregierung sind ja zum Beispiel Kurden, die im syrischen Rojava gegen den »Islamischen Staat« kämpfen wollen, eine mit den Dschihadisten qualitativ vergleichbare Bedrohung.

Reisen als Verdachtsmoment: Das ist neu für eine Demokratie, die sich stets so viel auf ihre Reisefreiheit eingebildet hat.