Fraktion DIE LINKE. im Bundestag – Im Wortlaut auf linksfraktion.de
Ulla Jelpke, innenpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag, kritisiert, dass „gummiartige Ausnahmeregeln“ im Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Umgang mit V-Leuten des Verfassungsschutzes der Geheimdienstwillkür weiter Tür und Tor öffnen. Scheitert das NPD-Verbot erneut wegen der „staatlich subventionierten Nazi-Hetzer“, „wäre das ein Triumph für die Nazis“, warnt Jelpke.
Ulla Jelpke: Leider nein. Die geheimdienstlich arbeitenden Verfassungsschutzämter mit ihren V-Leuten waren Herz und Motor des sicherheitspolitischen Debakels im Zusammenhang mit dem NSU. Doch was nun als Schlussfolgerung aus dem NSU-Desaster verkauft wird, öffnet mit gummiartigen Ausnahmeregeln weiterhin der Geheimdienstwillkür Tür und Tor. Keines der bisherigen Probleme mit V-Leuten wird mit diesem Gesetz beseitigt. Vielmehr wird die bislang auf Ebene einer Dienstvorschrift gepflegte V-Leute-Unwesen nun mit gesetzlichen Weihen versehen. Es läuft also auf eine Stärkung des Verfassungsschutzes hinaus. Mit der Verabschiedung dieses Gesetzes wird eine Chance vertan, unmittelbare und wirksame Schlussfolgerungen aus der NSU-Affäre zu ziehen.
Was ist denn so problematisch an den V-Leuten?
Bei V-Leuten handelt es sich um Angehörige einer vom Verfassungsschutz beobachteten Szene – also beispielsweise Neonazis oder Dschihadisten – die für Geld bereit sind, Informationen an den Geheimdienst weiterzugeben. Selbst Bundesinnenminister Thomas de Maizière nannte diese Spitzel Leute, „mit denen man sonst nicht zusammenarbeiten möchte“. Denn wir haben es hier zum Teil mit Leuten zu tun, die selber in schwerste Straftaten verstrickt sind. De Maizière behauptet, dass V-Leute für die Informationsgewinnung unersetzbar seien. Doch gerade die Glaubwürdigkeit von V-Leuten ist extrem zweifelhaft. Für Geld sind manche bereit, das Blaue vom Himmel zu lügen. Sie übertreiben ihre Bedeutung, um ihren lukrativen Nebenverdienst nicht zu verlieren. Im NSU-Umfeld haben sich Spitzel regelrecht damit gebrüstet, den Geheimdienst ausgetrickst zu haben. Andere V-Leute gerade aus der Naziszene haben – wie etwa ein jahrzehntelanger Führungskader der NPD in Nordrhein-Westfalen – sogar mit Wissen und Duldung ihrer Kameraden mit dem Verfassungsschutz zusammengearbeitet, diesem nur ausgewählte oder falsche Informationen geliefert und im Gegenzug hohe V-Mann-Honorare in den Aufbau von Nazistrukturen gesteckt. Wir können also von staatlich subventionierten Nazi-Hetzern sprechen.
Das Gesetz soll doch nun sicherstellen, dass keine zu Haftstrafen verurteilten Straftäter als V-Leute angeheuert werden. Und auch die Beteiligung von V-Leuten an Straftaten soll nun klar geregelt werden. Ist das nicht zu begrüßen?
Das ist wieder so eine Gummibestimmung, die in Wirklichkeit gar nichts regelt. Nur grundsätzlich dürfen keine zu Haftstrafen verurteilten Straftäter als V-Leute angeheuert werden. Ausnahmen sollen aber möglich sein, wenn zum Beispiel aus sogenannten operativen Gründen zu diesem V-Leuteeinsatz keine Aufklärungsalternative besteht. Die Einschätzung darüber trifft der Geheimdienst. Wie schon bisher sollen V-Leute Straftaten mit „subkulturellem Hintergrund“ begehen dürfen, um ihre Identität zu tarnen. Als Beispiel dafür wird das Zeigen eines Hitlergrußes, ein Verstoß gegen das Vermummungsverbot auf einer Demonstration oder die ja sonst schon mit einer längeren Haftstrafe bedrohte Mitgliedschaft in einer verbotenen oder sogar terroristischen Vereinigung angeführt. Bei kleineren Delikten soll von einer Strafverfolgung abgesehen werden können. In „Individualrechte“ anderer darf ein V-Mann nicht eingreifen, sich also nicht etwa einer Körperverletzung, Freiheitsentziehung oder gar Tötung schuldig machen. Allerdings sieht das Gesetz auch bei solchen Eingriffen durch V-Leute Ausnahmen vor. Als Beispiel genannt wird hier die Beteiligung an Sachbeschädigungen bei einer militant verlaufenen Demonstration, denen sich der Spitzel unter gruppendynamischen Druck nicht entziehen könne. Die Grenze zum Lockspitzel, der erst durch sein Vorbild andere Demonstrationsteilnehmer zu solchen Aktionen wie Steinwürfen auf die Polizei verleitet, ist hier fließend.
Aber zumindest, wenn ein V-Mann in Straftaten von erheblicher Bedeutung verwickelt ist, soll sein Einsatz abgebrochen werden.
Soll – nicht muss. So heißt es in dem Gesetzentwurf. Über Ausnahmen entscheidet der Präsident oder Vizepräsident des Verfassungsschutzes. Die Behördenleitung soll im Einzelfall eine Güterabwägung vornehmen und entscheiden, ob ein V-Mann weiter an einer Operation teilnimmt, wenn so vielleicht ein terroristischer Anschlag verhindert werden kann. Ob damit aber ein Szenario gemeint ist, in dem der Anschlag durch die Straftat des V-Mannes überhaupt erst verwirklicht werden kann, bleibt damit offen.
Gerade hat das Bundesverfassungsgericht vom Bundesrat als Antragsteller im NPD-Verbotsverfahren mehr Beweise für die tatsächliche Abschaltung der V-Leute innerhalb der rechtsextremen Partei gefordert. Ist diese Forderung nachvollziehbar?
Leider ja. Denn der Umgang der Geheimdienste mit ihren V-Leuten ist leider alles andere als transparent. Wenn ich daran zurückdenke, wie lange die Innenminister rumgeeiert haben, bevor sie bereit waren, den Abzug der V-Leute aus der NPD zu testieren, kann ich das Misstrauen der Karlsruher Richter gut verstehen. Die Bundesländer hatten als Belege für die aggressiv-kämpferische Haltung der NPD gegen die demokratische Ordnung auch das Parteiprogramm aus dem Jahr 2010 und ein Strategiepapier von 1997 angeführt. Zumindest zu den Zeitpunkten, an dem diese Papiere verfasst wurden, waren die V-Leute noch aktiv. Jetzt müssen die Länder – und die Bundesregierung – nachweisen, dass keine Geheimdienstquellen an diesen Texten mitgearbeitet haben. Ich hoffe, dass die Bundesregierung – die ja nicht selbst Klägerin ist – jetzt verantwortungsvoll handelt und gegenüber den Karlsruher Richtern uneingeschränkt Auskunft über die hoffentlich rechtzeitig abgeschalteten V-Leute des Bundesamtes für Verfassungsschutz innerhalb der NPD Rechenschaft ablegt. Vergessen wir nicht: Schon das erste NPD-Verbotsverfahren 2003 scheiterte an der Durchsetzung der rechtsextremen Partei mit Geheimdienstspitzeln. Die Karlsruher Richter waren der Auffassung, dass aufgrund der mangelnden Staatsferne der NPD ein rechtsstaatliches Verbotsverfahren nicht möglich sei. Um das Ausmaß mal zu verdeutlichen: Jedes sechste NPD-Vorstandsmitglied stand damals auf der Gehaltsliste des Verfassungsschutzes. Mögliche V-Leute des Verfassungsschutzes entpuppen sich im laufenden NPD-Verbotsverfahren als tickende Zeitbomben. Die Innenminister müssen nun alle Informationen über frühere und möglicherweise neue V-Leute im NPD-Umfeld schonungslos offenlegen. Es geht nicht an, dass das laufende Verbotsverfahren gegen diese offen menschenverachtend auftretende Nazipartei mit der Ausrede Quellenschutz gefährdet wird. Sollte das Verbotsverfahren abermals scheitern, wäre das ein Triumph für die Nazis.
In Thüringen geht die Landesregierung unter dem selber jahrelang vom Verfassungsschutz ausgespähten Ministerpräsidenten Bodo Ramelow von der LINKEN jetzt einen anderen Weg bezüglich der V-Leute. Was hat es damit auf sich?
Gerade in Thüringen, wo der NSU seinen Ursprung hat, war das V-Leute-Unwesen in den letzten Jahrzehnten völlig aus dem Ruder gelaufen. Schon der Thüringer Heimatschutz in den 90er Jahren, aus dem das spätere NSU-Trio dann in den Untergrund abtauchte, war ja eine Nazikameradschaft, in der jedes zehnte Mitglied für einen Geheimdienst arbeitete. Auch der Leiter der Gruppe Tino Brandt war V-Mann mit insgesamt 200.000 DM Spitzelhonorar. Aus solchen Erfahrungen mit demokratisch nicht kontrollierbaren Geheimdienststrukturen und ihren durch ihre V-Leute-Führer vor Strafverfolgung geschützten V-Leuten hat die Thüringer Landesregierung eine erste richtige Konsequenz gezogen. Das dortige Innenministerium kündigte an, zukünftig ganz auf V-Leute zu verzichten – wobei noch ein Hintertürchen im Falle „begründeter Einzelfälle zum Zweck der Terrorismusbekämpfung“ offen gelassen wurde. Mit seinem mutigen Schritt hat sich Thüringen nicht nur Freunde gemacht. Die Bundesregierung kündigt jetzt allerdings an, nötigenfalls mit eigenen Kräften des Bundesamtes für Verfassungsschutz in Thüringen tätig zu werden. Das neue „Gesetz zur Verbesserung der Zusammenarbeit im Bereich des Verfassungsschutzes“ sieht ausdrücklich die Stärkung des Bundesamtes für Verfassungsschutz als „Zentralstelle“ vor. So könnte die aus bürgerrechtlicher Sicht begrüßenswerte Schwächung der Kompetenzen des Verfassungsschutzes in Thüringen faktisch von oben unterlaufen werden. Auch das zeigt, wie gefährlich das neue Gesetz ist. Der Inlandsgeheimdienst hat – nicht nur im Falle NSU – auf der ganzen Linie versagt. Und dafür soll das Bundesamt für Verfassungsschutz jetzt auch noch mit mehr Machtfülle, mehr Kompetenzen, mehr Personal belohnt werden.
Das klingt so, als lehne DIE LINKE das Bundesamt für Verfassungsschutz an sich ab? Was könnte den die Alternative dazu sein?
Ein Geheimdienst ist per Definition demokratisch nicht kontrollierbar und damit ein Fremdkörper in einem demokratischen Rechtsstaat. Angesichts dieser zwangsläufigen strukturellen Defizite und der immer wieder erfolgten Rechtsverstöße – wie sie nicht zuletzt durch die NSU-Affäre öffentlich wurden – fordert DIE LINKE die Auflösung des Verfassungsschutzes als Geheimdienst. Stattdessen tritt DIE LINKE für die Schaffung einer Koordinationsstelle des Bundes und eine Bundesstiftung ein, die offen und wissenschaftlich über neonazistische, antisemitische, muslimfeindliche, rassistische und sonstige Erscheinungen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit arbeitet, diese dokumentiert und darüber informiert. Damit wäre den verfassungsrechtlichen Vorgaben des Grundgesetzes, das eben nicht explizit einen nachrichtendienstlichen Verfassungsschutz fordert, Rechnung getragen. Ein erster Schritt zu so einer Abschaffung der Geheimdienste müsste der Verzicht auf V-Leute sein.