Rede zu TOP 5 der 103. Sitzung des 18. Deutschen Bundestages zum Antrag „Flüchtlinge willkommen heißen – Für einen grundlegenden Wandel in der Asylpolitik“ (DIE LINKE.)
Ulla Jelpke (DIE LINKE):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Zeitpunkt für diese Debatte könnte nicht günstiger sein; denn morgen findet bekanntlich im Kanzleramt der Flüchtlingsgipfel statt. Die Linke diskutiert seit langem mit Flüchtlingsinitiativen, Menschenrechtsorganisationen und Wohlfahrtsverbänden, aber auch mit den Fraktionen in Ländern und Kommunen über einen Wandel in der Flüchtlingspolitik. Heute stellen wir dieses umfassende Konzept vor. Wir brauchen einen grundlegenden Paradigmenwechsel in der Asylpolitik: weg von der gescheiterten Politik der Abschreckung hin zur Integration von Flüchtlingen von Anfang an.
(Beifall bei der LINKEN)
Wir gehen von der Realität aus: Die Mehrheit der Asylsuchenden das zeigen auch die Zahlen erhält gegenwärtig einen Schutzstatus in Deutschland. Beispielsweise Flüchtlinge aus Ländern, in denen Krieg herrscht, also aus Syrien, Irak, aber auch Afghanistan, werden langfristig und dauerhaft hier leben. Deswegen muss das Leitbild bei ihrer Aufnahme eine schnelle Integration sein.
(Beifall bei der LINKEN)
Die Zeit ihres Asylverfahrens sollte nicht ungenutzt bleiben. Selbst der Bundesinnenminister fordert inzwischen, noch nicht anerkannte Flüchtlinge zu Integrationskursen zuzulassen allerdings nur, wenn sie gute Chancen auf Asyl haben. Das ist zwar ein richtiger Schritt in die richtige Richtung, doch nach unserer Auffassung sollten alle Asylsuchenden Zugang zu Sprachkursen erhalten.
(Beifall bei der LINKEN)
Flüchtlinge unterliegen integrationshemmenden Sondergesetzen. Statt der Anwendung des Asylbewerberleistungsgesetzes fordern wir ihre Einbeziehung in das allgemeine System der sozialen Sicherung, vor allen Dingen auch der Gesundheitsversorgung.
(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Die Residenzpflicht muss endlich vollständig aufgehoben werden. Asylsuchende sind keine Kriminellen. Sie müssen das Recht haben, sich frei im Land zu bewegen. Flüchtlinge müssen uneingeschränkt Zugang zum Arbeitsmarkt haben. Dafür plädiert übrigens auch die Bundesagentur für Arbeit.
(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Flüchtlinge sollen die Möglichkeit haben, selbst zu ihrem Lebensunterhalt beizutragen. Wir wollen die Ideen und die Tatkraft der Neuankömmlinge nutzen und sie nicht gegen ihren Willen zu abhängigen Leistungsempfängern machen.
Meine Damen und Herren, wir wollen eine Aufnahmepolitik in maßgeblicher Verantwortung des Bundes. Flüchtlingsschutz ist eine internationale Verpflichtung. Da dürfen wir nicht die Verantwortung auf die Schwächsten, und zwar auf die Kommunen, abwälzen. Die Folgen dieser Politik sind bekannt: Die Kommunen sind überfordert und bringen Asylbewerberinnen und Asylbewerber in menschenunwürdigen Unterkünften unter. Oft sind es Liegenschaften, die in der Pampa, im Wald oder sonst wo, liegen. Die Flüchtlinge sind dann von öffentlichen Verkehrsmitteln abgeschnitten. Das geht so nicht.
(Beifall bei der LINKEN)
Dieser Willkür wollen wir durch eine bundesgesetzliche Regelung zur Schaffung einheitlicher und guter Mindeststandards für die Flüchtlingsaufnahme und -unterbringung einen Riegel vorschieben.
Wir sagen auch ganz klar: Flüchtlingsunterbringung darf nicht zulasten anderer öffentlicher Aufgaben gehen. Denn wenn deswegen erst einmal ein Schwimmbad oder ein Jugendklub geschlossen werden, ist die Ablehnung in der Bevölkerung groß. Damit werden wiederum Rechte mobilisiert. Auch hierzu müssen wir klar sagen: Wir wollen dort keinen Pegidas und keinen Neonazis in die Hände spielen.
(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Daniela Kolbe (SPD))
Wir brauchen eine dauerhafte strukturelle Neuregelung zur Entlastung der Kommunen und keine einmaligen Geldüberweisungen durch den Bund. Bislang gibt es nur die Zusage des Bundes für zwei Einmalzahlungen in Höhe von 500 Millionen Euro für die Jahre 2015 und 2016. Und das reicht hinten und vorne nicht, wie wir wissen.
Die Linke tritt für ein Flüchtlingsaufnahmegesetz ein, um eine dauerhafte Übernahme der Kosten für Aufnahme und Unterbringung der Asylbewerber während ihres Verfahrens durch den Bund zu regeln. Durch finanzielle Entlastungen könnten Länder und Kommunen ihren eigentlichen Kompetenzen nachkommen wie beispielsweise Integration, Einbindung in die städtische Infrastruktur, rechtliche und soziale Betreuung sowie Bildung und Arbeit. Das wäre genau das, was sicher leistbar ist.
Meine Damen und Herren, wir wollen nicht allein eine Umverteilung der Gelder zugunsten von Ländern und Kommunen – hier hat sich das SPD-Präsidium inzwischen unseren Vorschlägen deutlich angenähert -, es geht uns zugleich um einen inhaltlichen Wandel in der Aufnahmepolitik. Dazu will die Linke das bisherige Zwangssystem der Flüchtlingsunterbringung aufbrechen.
Schutzsuchende werden derzeit nach einer bürokratischen Quote über die Länder verteilt und in große Aufnahmelager gesteckt auch dann, wenn sie Verwandte oder Freunde in Deutschland haben, bei denen sie kostengünstiger und sozial eingebunden unterkommen könnten. Das wollen wir ändern. Flüchtlinge sollten die Möglichkeit haben, dezentral und in normalen Wohnungen zu leben. Die zwangsweise Unterbringung in Massenunterkünften ist nicht nur in vielen Fällen unmenschlich, sie ist aufgrund des Bürokratie- und Kontrollaufwandes sogar mit Mehrkosten verbunden. Das gilt übrigens auch für die Versorgung mit Sachmitteln anstelle von Geldleistungen.
Wir sagen daher: Lasst uns in die Integration investieren, nicht in Abschreckungspolitik!
(Beifall bei der LINKEN)
Meine Damen und Herren, die langen Verfahrensdauern beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge von durchschnittlich mehr als sieben Monaten sind inakzeptabel. Zur Erinnerung: Im Koalitionsvertrag waren drei Monate angedacht. Doch dafür braucht das BAMF deutlich mehr Stellen. Zugleich müssen sinnlose Aufgaben gestrichen werden, zum Beispiel die nach drei Jahren obligatorisch durchgeführten Asylwiderrufsprüfungen, die in 95 Prozent der Fälle ohnehin zu nichts führen, da das Asyl bestätigt wird. Damit werden Kapazitäten gebunden und bereits anerkannte Flüchtlinge unnötiger psychischer Belastung ausgesetzt.
Wir schlagen zudem eine einmalige Altfallregelung durch Erteilung eines Flüchtlingsstatus bei überlanger Verfahrensdauer vor. So könnte man beispielsweise den Bearbeitungsstau bei rund 200 000 Anträgen abbauen.
Bei meinen Besuchen in Flüchtlingsunterkünften und auf Veranstaltungen im ganzen Land lerne ich immer wieder Menschen kennen, die sich ehrenamtlich, auch in Willkommensteams, für die Aufnahme und Unterstützung von Flüchtlingen engagieren. Sie bieten Lernhilfen für Flüchtlingskinder an, spielen mit ihnen Fußball oder Theater, sie begleiten Flüchtlinge zu den Behörden oder bieten ihnen Kirchenasyl. Ich erinnere auch an die vielen Aktivisten hier in Berlin und in Hamburg, die seit Monaten, zum Teil zwei Jahre lang, für ein Bleiberecht der Lampedusa-Flüchtlinge kämpfen – bisher leider ohne Erfolg. Sie alle verdienen unsere Unterstützung in ihrem Engagement.
(Beifall bei der LINKEN)
Sie tragen übrigens nicht nur zu einer besseren Integration bei, sondern sie helfen auch, Vorurteile in der Bevölkerung abzubauen.
Doch leider setzt diese Regierungskoalition in der Flüchtlingspolitik weiter auf Abschreckung statt auf Integration. Das zeigt zum Beispiel die Neuregelung des Aufenthaltsbeendigungsgesetzes, über das wir demnächst hier abstimmen werden. Verbesserungen bietet dieses Gesetz zweifellos für Geduldete, die gute Sprachkenntnisse haben und einen eigenständigen Lebensunterhalt vorweisen können. Allen anderen Flüchtlingen droht das Gesetz damit, dass sie inhaftiert werden können. Die abschreckende Botschaft, die hinter diesem Gesetz steht, ist nicht hinzunehmen. Deswegen lehnen wir es ab.
Um es noch einmal deutlich zu sagen: Die Linke lehnt eine Unterteilung in gute und schlechte Flüchtlinge ab. Jeder Mensch, der flieht, hat einen Grund; er flieht nicht einfach mal eben so und verlässt sein Land und seine Familie. Deswegen sagen wir: Menschenwürde ist für uns nicht verhandelbar. Die Türen müssen weiter offen bleiben für Menschen in Not.
Ich danke Ihnen.
(Beifall bei der LINKEN)