Rede zu TOP 28b) der 110. Sitzung des 18. Deutschen Bundestages „Das Mittelmeer darf nicht zum Massengrab werden – Für eine Umkehr in der EU-Asylpolitik“
Ulla Jelpke (DIE LINKE):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Staatssekretär Schröder, ich glaube, das Hauptproblem ist, dass Sie immer wieder Schlepper als das Hauptproblem darstellen, wenn es um die Seenotrettung geht. So ist es eben nicht. Es ist zynisch, wenn man hauptsächlich darauf abstellt und nicht selbstkritisch zur Debatte stellt, was denn in Sachen Bekämpfung von Fluchtursachen getan wurde, was denn getan wurde, um tatsächlich – wie eben schon erwähnt – legale, sichere Wege für Flüchtlinge nach Europa zu schaffen. In diesen Bereichen wird wirklich nichts getan.
Sie entziehen den Schleppern eben nicht die Geschäftsgrundlage. Um das zu tun, könnten Sie zum Beispiel humanitäre Visa ausgeben und tatsächlich Fähren schicken. Sie könnten im Grunde genommen die Menschen, die heute schon auf legalem Wege hierherkommen könnten, viel schneller hierherholen, zum Beispiel diejenigen, die einen Anspruch auf Familienzusammenführung haben und heute – das ist ein Skandal – über ein Jahr darauf warten, überhaupt nach Europa zu kommen. Diese wenigen Schritte sind Sie bisher überhaupt nicht gegangen, sondern haben nur ein Ziel und fragen sich immer: Wie können wir Schlepper bekämpfen? – So kommt man meiner Meinung nach nicht zu einer anderen Flüchtlingspolitik, schon gar nicht dazu, dass das Massensterben im Mittelmeer endlich ein Ende hat.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))
Ich will hier noch einmal sagen: In diesem Jahr sind etwa 2 000 Menschen, die verzweifelt versucht haben, über das Mittelmeer nach Europa zu kommen, daran gescheitert und gestorben. Jedes Mal, wenn Hunderte von Flüchtlingen ertrunken sind – ob es 2013 oder jetzt im April 2015 war -, haben wir solche Töne gehört: Das darf sich nicht wiederholen, das ist eine Schande für Europa. – Ich meine nach wie vor, auch nach der heute gehörten Aufzählung dessen, was angeblich alles getan wird: Das reicht bei weitem nicht aus. Es müssen viel weiter gehende Schritte für eine veränderte Flüchtlingspolitik in Europa durchgeführt werden.
(Beifall bei der LINKEN)
An dieser Stelle möchte ich auch sagen: Unter moralischen Maßstäben halte ich es für ein regelrechtes Verbrechen, dass man Mare Nostrum eingestellt hat.
(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Man muss sich das einmal vorstellen: Zum damaligen Zeitpunkt konnte man das Geld für Mare Nostrum angeblich nicht aufbringen, aber jetzt steckt man Geld in Frontex, die Grenzabschottungsagentur, die eben nicht hauptsächlich dafür zuständig ist, Seenotrettung zu betreiben; das hat uns übrigens auch Herr Leggeri, Direktor der Agentur, am Mittwoch im Innenausschuss berichtet. Nur im Notfall werden Flüchtlinge gerettet. Das zeigt, dass es im Grunde genommen nicht in erster Linie um die Flüchtlinge geht. Vielmehr ist in die Abschottung der europäischen Grenzen investiert worden. Ich will an dieser Stelle darauf hinweisen: Frontex reicht nicht bis an die Grenze von Libyen. Aber wir wissen, dass von dort die meisten Flüchtlinge losfahren.
Wie sieht die Seenotrettung gegenwärtig überhaupt aus? Alleine im vergangenen Jahr sind 20 000 Menschen durch private Handelsschiffe gerettet worden, 1 700 in diesem Jahr von Frontex. Da Sie immer auf Frontex abstellen: Das macht sehr deutlich, dass eine Seenotrettung so nicht organisiert werden kann. Wenn wir Menschen retten wollen, dann brauchen wir eine koordinierte europäische Seenotrettung, und zwar für den gesamten Mittelmeerraum. Das muss für uns alle an erster Stelle stehen.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))
Auch innerhalb Europas steht es nicht zum Besten. Alleine am letzten Wochenende sind 5 000 Menschen aus Seenot gerettet und nach Italien gebracht worden. Fast täglich kommen 600 Menschen auf den griechischen Inseln an. In beiden Ländern ist die Situation für Flüchtlinge katastrophal. Allein in Italien sind 180 000 Flüchtlinge in Lagern untergebracht. Die Lager sind völlig überfordert, und die Flüchtlinge können nicht angemessen versorgt werden. Vor diesem Hintergrund muss man sich einmal vorstellen, dass diskutiert wurde, als Notmaßnahme 40 000 Flüchtlinge aus Griechenland und Italien in den Mitgliedstaaten aufzunehmen, und man nun einmal eben so aus den Medien erfährt, dass man diese Maßnahme auf den Herbst verschoben hat. Geht es hier wirklich um die Schutzsuchenden, um diejenigen, die Hilfe brauchen? Wie kann es sein, dass die nationalen Eigeninteressen innerhalb Europas so stark im Vordergrund stehen, dass es nicht möglich ist, die Flüchtlinge sofort in andere europäische Länder zu bringen und sie wirklich zu schützen?
Vizepräsidentin Ulla Schmidt:
Sie kommen bitte zum Schluss, Frau Kollegin.
Ulla Jelpke (DIE LINKE):
Ja, ich komme zum Schluss. ‑ Lassen Sie mich noch einen Aspekt des Militäreinsatzes ansprechen. Wer versucht, Schiffe durch das Militär zu versenken, wird die Flüchtlinge auf noch unsicherere Schiffe bringen, nämlich auf Schlauchboote; denn die sind nicht so einfach zu vernichten und die kann man sehr schnell aufpusten. Das bedeutet noch mehr Tote. Deswegen ist es zynisch und unglaublich, wenn Sie an dieser Militäraktion festhalten wollen, Herr Staatssekretär. Die Linke jedenfalls lehnt das eindeutig ab.
(Beifall bei der LINKEN)