Neues Verfassungsschutzgesetz: Ausufernde Spitzelei – Anschlag auf Grundrechte

Die Bundesregierung  zieht ihre eigenen Lehren aus den Verwicklungen des Verfassungsschutzes in die terroristische Nazi-Szene: Sie regelt jetzt nicht mehr nur in Dienstvorschriften, sondern im Gesetz den Einsatz von V-Leuten, und zwar auch von vorbestraften Nazischlägern. Außerdem wird die Rolle des Bundesamtes massiv aufgewertet. Alles nach dem Motto: Der Verfassungsschutz hat „versagt“ (was für ein Euphemismus!) – lasst ihn uns noch stärker werden!

Ich habe dazu in den letzten Tagen mehrfach in der jungen Welt publiziert, im Folgenden stelle ich die entsprechenden Artikel hier ein.

 

Ausufernde Spitzelei

»Verfassungswidrig«: Datenschutzbeauftragte warnt vor Folgen der Geheimdienstreform und ist von Expertenanhörung ausgeschlossen. Von Ulla Jelpke

(jW, 6. 6. 2015)

 

Die von der Bundesregierung geplante Reform des Verfassungsschutzes hat deutliche Kritik der Bundesdatenschutzbeauftragten ausgelöst. Das Vorhaben verstoße in mehrfacher Hinsicht gegen die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes, schreibt Andrea Voßhoff in einer Stellungnahme an den Innenausschuss des Bundestages. Der führt am Montag eine Expertenanhörung zum Thema durch – von der Voßhoff auf Druck von CDU/CSU ausgeschlossen bleibt. Zu den Kernelementen des Gesetzentwurfs gehören die erweiterte Beobachtungstätigkeit, die Stärkung des Bundesamtes und die erhebliche Erweiterung des Informationsaustausches zwischen Geheimdienst und Polizei sowie Staatsanwaltschaften.

Obwohl das Bundesverfassungsgericht erst vor zwei Jahren in seinem Urteil zur Antiterrordatei ein »informationelles Trennungsprinzip« festgeschrieben hatte, also die grundsätzliche Trennung von polizeilich und geheimdienstlich erhobenen Daten, sieht der Gesetzentwurf nun praktisch das Gegenteil vor. Einerseits soll die Polizei dem Geheimdienst Auskünfte über alle möglichen extremistischen Bestrebungen mitteilen – bislang war diese Übermittlungspflicht auf Gewalt- und Spionagedelikte beschränkt, andererseits soll auch das Bundesamt der Polizei mehr Informationen übermitteln. Dazu gehören Daten, die weit im Vorfeld einer Straftat erhoben wurden. Sie sollen, so heißt es in der Gesetzesbegründung, der Polizei zur Erstellung von Gefährdungslagebildern dienen, um zu analysieren, »ob das Entstehen von Gefahren zu erwarten ist und welche vorbeugenden Maßnahmen daraus abzuleiten sind«. Bisherige Beschränkungen auf bestimmte Phänomenbereiche wie Neofaschismus und Spionage entfallen. Damit seien, so Voßhoff, »die Barrieren für einen umfassenden, fast voraussetzungslosen und verfassungswidrigen Datenfluss gefallen«. Übermittelt werden könnten nach der geplanten Regelung auch Informationen, die vom Geheimdienst durch Abhöraktionen gewonnen wurden, zu deren Erkenntnis die Polizei aber gar nicht kommen dürfte. Das widerspreche ebenfalls der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes zur informationellen Trennung. Der Gesetzentwurf gebe den Nachrichtendiensten »faktisch die Rolle einer Sicherheitsbehörde, die ihnen das Bundesverfassungsgericht aber inhaltlich versagt hat«, so Voßhoff.

Heftige Kritik übt sie auch an der geplanten Befugnis des Geheimdienstes, unbegrenzte Volltextdateien anzulegen. Das bedeute, dass »jedes beliebige Dokument in die Datei eingestellt werden« könne, das dann zugleich Hinweise auf »Randpersonen« enthalte, über die nach bisherigem Recht überhaupt keine Personenakten geführt werden dürfen.

Weiterhin beinhaltet der Gesetzentwurf die Ausweitung der Befugnisse des Bundesamtes gegenüber den Landesämtern. Das Bundesamt soll verstärkt auch selbst in den Ländern spitzeln dürfen. Das lässt sich als Drohung zum Beispiel gegen den Freistaat Thüringen verstehen, der einen Rückbau der Befugnisse seines Landesamtes angekündigt hat. Für die Auswertung der zusätzlichen Informationen soll das Bundesamt um 261 Planstellen aufgestockt werden.

An der Praxis, V-Leute etwa in Neonazikreisen anzuwerben, soll weiterhin festgehalten werden. Erstmals wird nun ausdrücklich im Gesetz festgehalten, dass die V-Leute straffrei »szenetypische Straftaten« begehen dürfen. Auch Delikte wie Landfriedensbruch könnten im Einzelfall legitim sein, heißt es in der Regierungsvorlage (siehe jW von 28. März 2015).

 

 

Schlag gegen Grundrechte

Neues Verfassungsschutzgesetz

 Gastkommentar von Ulla Jelpke
(jw, 6. 6. 2015)
 
 
 
Die Bundesregierung zieht ihre eigenen Schlussfolgerungen aus den Verwicklungen des Verfassungsschutzes in die NSU-Verbrechen: Der Inlandsgeheimdienst soll noch mehr spitzeln, und seine V-Leute sollen ganz legal Straftaten begehen dürfen.Stehen eingangs euphemistische Formulierungen von einem »zukunftsausgerichteten Verfassungsschutz« im Gesetzentwurf, wird hinten in der Begründung Tacheles geredet und von der »Abrundung«, also dem Ausbau der Beobachtungstätigkeit, gesprochen. »Eigentlich«, so steht da wörtlich, sei die »Übermittlung aller Informationen zur zentralen Auswertung« an das Bundesamt erforderlich, um »das Risiko von Erkenntnisausfällen« zu minimieren. Das betrifft zum einen den Austausch der Daten zwischen Bundesamt und Landesämtern. Bisher war das nur erlaubt, wenn die Informationen für die jeweilige Aufgabenerfüllung »erforderlich« waren. In Zukunft soll es genügen, wenn sie für »relevant« gehalten werden. Außerdem soll diese Praxis zwischen Geheimdienst und Polizei deutlich ausgeweitet werden.

Davon betroffen sind dann keineswegs nur politische »Extremisten« und solche Menschen, die dazu erklärt werden. Es geht auch um herkömmliche Strafverfolgung. Die als »ganzheitliche Terrorismusbekämpfung« umschriebene informationstechnische Aufrüstung des Verfassungsschutzes ermöglicht den Abgleich der Daten von Personen, die in keiner Weise als Extremisten oder Gewalttäter auffällig geworden sind. Die Ausweitung der Geheimdienstbefugnisse bedeutet eine faktische Beschneidung der Bürgerrechte. Ein Recht auf Auskunft über die erfolgten Speicherungen haben selbst am Rande erwähnte Personen aber nicht – die entsprechende Recherche würde den Geheimdienst doch zu sehr in Anspruch nehmen.

Es will schon etwas heißen, dass selbst die in der CDU sozialisierte Bundesdatenschutzbeauftragte Andrea Voßhoff an praktisch jedem einzelnen Punkt des Vorhabens deutliche Kritik übt. Was sich hinter den größtenteils vagen Formulierungen des Gesetzestextes verbirgt, bringt Voßhoff auf den Punkt: Hier würden die Geheimdienste faktisch zur »Sicherheitsbehörde« aufgerüstet, obwohl ihnen die Verfassung das genauso verbiete wie die »operative«, sprich polizeiliche, Gefahrenabwehr. Zusammengefasst heißt das politisch: Die Grenzen zwischen Verfassungsschutz und Polizei werden eingerissen. Das wiederum bedeutet nicht weniger als große Schritte in Richtung eines geheim operierenden, zentralstaatlichen Polizeiapparates.

Was da vorbereitet wird, im Schatten der – viel zu geringen – öffentlichen Empörung über Geheimdienstmachenschaften von BND und NSA sowie im Schatten der ebenfalls geplanten Vorratsdatenspeicherung, ist ein veritabler Schlag gegen die Grundrechte und die Abkehr von Lehren aus der Nazizeit.

 

 

Nichts dazugelernt

NSU-Opferanwalt: Hinterbliebene empört über Stärkung des Verfassungsschutzes

(jw, 9. 6. 2015)

 

In einer Anhörung des Innenausschusses im Bundestag haben am Montag mehrere Sachverständige scharfe Kritik am neuen Verfassungsschutzgesetz geübt. Selbst Juristen, die dem Regierungsvorhaben prinzipiell wohlwollend gegenüberstehen, monierten etliche Punkte, an denen der Entwurf gegen das Grundgesetz verstoße. Wie berichtet (jW vom 6. Juni), will die Bundesregierung dem Bundesamt für Verfassungsschutz mehr Befugnisse für die Informationsbeschaffung und –verarbeitung verleihen. Uneingeschränkt begrüßt wurde das Vorhaben, wenig überraschend, vom Präsidenten der Behörde, Hans-Georg Maaßen, der von der Union als Experte eingeladen worden war.

Anders hingegen Matthias Bäcker vom Karlsruher Institut für Informations- und Wirtschaftsrecht: Das Unterfangen, einen »annähernd grenzenlosen Datenverbund der Verfassungsschutzbehörden zu schaffen«, stehe mit den »Grundrechten der Betroffenen nicht in Einklang«. Die Dateien, die das Bundesamt künftig anlegen können soll, enthielten weder Begrenzungen für ihren Inhalt noch für ihre Auswertung. Dadurch sei es ohne weiteres möglich, Daten von juristisch völlig unbescholtenen Personen, »flüchtigen Kontaktpersonen oder potentiellen Opfern« verfassungsfeindlicher Bestrebungen in den Geheimdienstcomputern zu speichern.

Verfassungswidrig sei es aber auch schon, das Bundesamt pauschal für alle gewaltbezogenen »Extremismus«-Formen für zuständig zu erklären und es »in redundanter Weise« neben den Landesämtern in Erscheinung treten zu lassen. »Demnach wäre auch eine lokal tätige Jugendgruppe erfasst, die in einem Flugblatt geringfügige Sachbeschädigung befürwortet«, ergänzte Hartmut Aden von der Berliner Hochschule für Wirtschaft und Recht die Kritik an diesem Punkt. Aden forderte zudem, die Methoden, die der Geheimdienst zur Informationsbeschaffung anwendet, nicht mehr nur per Dienstvorschrift festzulegen, sondern transparent im Gesetzestext zu nennen.

Scharfe Kritik an den Regelungen zu V-Leuten übte der Berliner Rechtsanwalt Sebastian Scharmer, der im Münchner NSU-Verfahren die Angehörigen des von den Neonaziterroristen ermordeten Mehmet Kubasik vertritt. Mit Blick darauf, dass nach offizieller Lesart mit der Gesetzesinitiative die Lehren aus den NSU-Morden gezogen würden, berichtete Scharmer, bei den Hinterbliebenen der Mordopfer bestehe »eine nachvollziehbare Empörung darüber, dass nun auf ihrem Rücken und mit dem Leid, was sie gerade auch durch staatliche Behörden über Jahre hinweg erfahren mussten, eine der größten Machterweiterungen des Bundesamtes für Verfassungsschutz begründet werden soll, die je in der deutschen Geschichte erfolgt ist.«

Scharmer verwies darauf, dass die Praxis staatlich bezahlter V-Leute in der Vergangenheit zu einer Stärkung der Neonaziszene geführt habe. Die Gesetzesreform löse dieses Problem nicht, sondern verstärke sogar noch die Mechanismen, die mitursächlich für die fehlende Verfolgung des NSU gewesen seien. So erlaube das Gesetz den V-Leuten nicht nur die Begehung kleinerer Straftaten: »Auch die Beteiligung an einer gefährlichen Körperverletzung von Neonazis an einer Flüchtlingsfamilie« könnte der Geheimdienst für legitim erklären, wenn – nach seiner Ansicht – die Aufklärung der Neonaziszene die Schwere der Straftat überwiege. In der Praxis könne das Bundesamt seine V-Leute vor Ermittlungen der Polizei warnen, wie es etwa bei Verdächtigen im NSU-Umfeld vorgekommen sei, so Scharmer.