Einschüchterungsversuch

Ermittlungen wegen »Landesverrats«. Gastkommentar

Von Ulla Jelpke

Wer noch eines zusätzlichen Arguments bedurfte, weshalb der deutsche Inlandsgeheimdienst dringend abgeschafft gehört, dem hat das Bundesamt für Verfassungsschutz jetzt geholfen. Die Ermittlungen gegen Journalisten wegen angeblichen Landesverrats zeigen eines ganz deutlich: Der Verfassungsschutz spricht seiner Eigenbezeichnung Hohn. Landesverräterisch, also von schwerem Nachteil für die äußere Sicherheit Deutschlands, soll es sein, wenn man Details darüber veröffentlicht, wie der Geheimdienst sich anschickt, das Internet zu überwachen. Das Gegenteil ist richtig: Es ist ein außerordentliches Verdienst, wenn Journalisten das Ausmaß der Spitzelei öffentlich machen, der wir alle unterworfen sind. Schädlich ist dieses Verhalten nur für die Grundrechtsverletzer in den Geheimdiensten selbst.

Es liegt auf der Hand, dass die von netzpolitik.org publizierten Dokumente die »äußere Sicherheit« der BRD nicht ernsthaft bedrohen können. Dass das Internet von den Diensten überwacht wird, ist ja nichts Neues. Dem Bundesamt für Verfassungsschutz geht es nicht darum, Schaden von der Bundesrepublik abzuwenden, sondern darum, in aller Ruhe seine Komplizenschaft mit der Partnerbehörde NSA zu pflegen.

Zur Erinnerung: Derselbe Generalbundesanwalt, der es jetzt für »landesverräterisch« erklärt, wenn Details zur geheimdienstlichen Überwachung des Internets öffentlich werden, hat Ermittlungen gegen die Spionagetätigkeiten der NSA abgelehnt. Dass die Verbindungsdaten von Millionen Bürgern abgeschöpft, Betriebsgeheimnisse von Unternehmen ausspioniert werden – alles nachzulesen in den maßgeblich von Edward Snowden geleakten Dokumenten – das alles spielt keine Rolle. Nicht einmal an der Überwachung der Handys der deutschen Kanzlerin und des Bundesaußenministers durch die USA nehmen der deutsche »Verfassungsschutz« oder der oberste Strafverfolger Anstoß. Doch wehe, ein kleiner, aber rühriger Internetblog veröffentlicht Auszüge eines Haushaltsplans des Inlandsgeheimdienstes …

 Höchstwahrscheinlich werden die Ermittlungen wieder eingestellt, weil das juristische Konstrukt schlichtweg zu wacklig ist. Der eigentliche Zweck der Übung dürfte jedoch weniger sein, Journalisten in die Pfanne zu hauen – die hat sich der Geheimdienst jetzt allerdings zum Feind gemacht. Die Ermittlungen stellen vielmehr eine akute Bedrohung für diejenigen dar, die investigative Medien mit solch sensiblen Informationen versorgen. Seien es Whistleblower aus dem Geheimdienst selbst oder aus Kreisen des Parlaments und der Regierung: Ihnen drohen angesichts solcher Ermittlungen die Enttarnung und möglicherweise eine Bestrafung. Es ist dieses Vorgehen und nicht das Aufdecken von Geheimdienstskandalen, das eine Bedrohung unserer Verfassung darstellt.

Ulla Jelpke ist innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Deutschen Bundestag

Erschien in junge Welt vom 1.8.2015