Bundesregierung beschließt Asylrechtsverschärfung. CDU-Politiker fordern Ausnahmen vom Mindestlohn für Flüchtlinge
Von Ulla Jelpke (erschienen in der jungen Welt am 30.09.2015) Das Kabinett von CDU, CSU und SPD hat am Dienstag sein »Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz« auf den Weg gebracht. Schon der Name ist eine Täuschung: Regelungen zur Beschleunigung oder Vereinfachung der bereits jetzt für zahlreiche Flüchtlinge bis zu einem Jahr andauernden Asylverfahren finden sich darin kaum. Dagegen ist der Regierungsentwurf geprägt von der diskriminierenden Kategorisierung von Flüchtlingen, von verfassungswidrigen Leistungseinschränkungen, Abschreckungsmaßnahmen und einer Beschneidung des individuellen Asylrechts. Das einzige, was beschleunigt werden soll, ist die Auslese und Abschiebung unliebsamer Personen »ohne Bleiberechtsperspektive« direkt aus den Erstaufnahmelagern. In diesen Lagern dürfen die Schutzsuchenden bis zu sechs Monate gelassen werden.Besonders betroffen von Beschäftigungsverboten und Leistungskürzungen sind jene Flüchtlinge, für deren Asylverfahren laut Dublin-Verordnung ein anderes EU-Land zuständig ist. Dazu kommen Geduldete, bei denen aus »selbst zu vertretenden Gründen«, also etwa wegen unrichtiger Angaben zu Identität oder Staatsangehörigkeit, Abschiebungen nicht vollzogen werden können, sowie schließlich die Flüchtlinge aus den sogenannten Westbalkanstaaten. Der Gesetzentwurf behandelt insbesondere Schutzsuchende aus den sogenannten sicheren Herkunftsstaaten, zu denen künftig auch Albanien, das Kosovo und Montenegro gehören sollen, pauschal als Flüchtlinge zweiter Klasse. Ihnen drohen die Kasernierung in Sonderlagern sogar länger als sechs Monate bis hin zu ihrer Abschiebung, Streichung der Bezüge bis auf das absolute Existenzminimum, Beschäftigungsverbote und die Residenzpflicht, mit der das Verlassen des zugewiesenen Landkreises kriminalisiert wird. Dadurch bleiben Diskriminierte und Verfolgte wie Roma und Sinti oder Homosexuelle schutzlos auf der Strecke. Der im Asylrecht geltende Grundsatz der unvoreingenommenen Einzelfallprüfung wird ausgehebelt. Mit der Begründung, man müsse »Fehlanreize« vermeiden, sollen in Erstaufnahmeeinrichtungen Bargeldauszahlungen durch Sachleistungen ersetzt werden – obwohl dies nicht nur die Betroffenen entmündigt und ihnen die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben verwehrt, sondern auch mit bürokratischem Mehraufwand und Mehrkosten verbunden ist. Integration soll es nur für Flüchtlinge mit »guter Bleiberechtsperspektive« geben. Doch auch bei ihnen geht es eher um Schmalspurintegration als um wirkliche Einbeziehung in das Bildungssystem und den Arbeitsmarkt.
Unterdessen sprechen sich führende CDU-Politiker für Ausnahmen vom seit Jahresbeginn geltenden gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro brutto für Flüchtlinge aus. Bei Einstiegs- und Qualifizierungsmaßnahmen für sie solle die Untergrenze nicht greifen, forderte der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Reiner Haseloff (CDU), gegenüber der Welt (Dienstagausgabe). Auch CDU-Präsidiumsmitglied Jens Spahn will den Mindestlohn für Flüchtlinge auf den »Prüfstand« stellen. Der Vorsitzende der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung der Union, Carsten Linnemann, befürchtet dagegen, ein »Sonderarbeitsmarkt« für Flüchtlinge schaffe weitere Anreize, dass sich Menschen »aus wirtschaftlichen Gründen auf den Weg nach Deutschland« machen. Und SPD-Chef Sigmar Gabriel warnte davor, mit der Forderung nach Mindestlohnausnahmen gesellschaftliche Spannungen zu schüren. So würden Flüchtlinge zu »Lohndrückern gegen die Deutschen« gemacht. »Wer solche Vorschläge macht, spielt die Armen aus Deutschland gegen die Armen aus Syrien aus«, erklärte der Vizekanzler.