Erklärung zum Anschlag in Ankara
Es war der schwerste Terroranschlag in der Geschichte der neueren Türkei. Bis zu 130 Menschen starben bei zwei Bombenanschlägen auf eine Friedenskundgebung am Samstag in Ankara. Der Doppelanschlag galt einer Großkundgebung von Gewerkschaften, linken und prokurdischen Parteien gegen den neuen Krieg in den kurdischen Landesteilen. Der Anschlag zielte – wie schon das Massaker an jungen Sozialistinnen und Sozialisten in Suruc im Juli – auf die Solidarität mit der kurdischen Freiheitsbewegung. Es war ein Anschlag gegen die Geschwisterlichkeit der Völker, gegen einen gemeinsamen türkisch-kurdischen Kampf für Frieden, Freiheit, soziale Gerechtigkeit und Demokratie. Die Botschaft ist klar: wer sich an die Seite der kurdischen Freiheitsbewegung stellt, ist vogelfrei. Er riskiert ebenso sein Leben, wie es die kurdischen Freiheitskämpferinnen und Freiheitskämpfer seit über 35 Jahren tun.
Mit der Kundgebung in Ankara sollten die Kriegsparteien dazu aufgerufen werden, an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Tatsächlich ließ sich die Arbeiterpartei Kurdistans PKK auch durch das neuerliche Massaker nicht beirren und verkündete noch am Tag des Anschlags eine Waffenruhe als Reaktion auf entsprechende Appelle aus dem In- und Ausland. Dagegen flog die türkische Luftwaffe wenige Stunden nach der PKK-Erklärung erneute Luftangriffe auf Guerillastellungen im Nordirak und Guerillafriedhöfe in der Türkei. Diese Reaktion der AKP-Regierung ist deutlich: Frieden ist nicht erwünscht.
Zurecht geben viele Linke und Gewerkschafter der AKP-Regierung und Präsident Erdogan die Verantwortung an dem Massaker. Die Frage ist nur, ob wir es hier mit den logischen Konsequenzen von Erdogans Politik – der Unterstützung von dschihadistischen Terrorgruppen in Syrien und Hasskampagnen gegen politischen Gegner der AKP – zu tun haben, oder ob die Gladio-Einheiten des Präsidenten sogar direkt in die Anschläge verwickelt waren.
Seit dem Verlust ihrer absoluten Mehrheit bei den Parlamentswahlen im Juni setzen die AKP und Präsident Erdogan auf eine Strategie der Spannung. Mit Terror, mit Krieg, mit Repression soll die prokurdische Demokratische Partei der Völker HDP wieder unter die Zehnprozenthürde gezwungen werden. Zugleich hofft Erdogan, zahlreiche Anhänger der faschistischen Grauen Wölfe für die AKP zu gewinnen. AKP-nahe Rollkommandos greifen HDP-Büros und oppositionelle Medien an.
Die Absicht dahinter ist deutlich: Mit Anschlägen und Terror soll ein Klima der Angst geschaffen werden, in dem der Ruf nach Stabilität durch eine Alleinregierung und einem starken Mann ertönt. So hofft Erdogan, am Ende doch noch sein Präsidialsystem mit besonderen Vollmachten durchzusetzen. Schon jetzt ist in vielen kurdischen Städten kein freier Wahlkampf möglich aufgrund tagelanger Ausgangssperren und systematischen Terrors durch Polizei und Armee. Aus Angst vor weiteren Anschlägen verzichtet die HDP nun auch auf Großkundgebungen. Dazu kommen die andauernden Festnahmen und Verhaftungen von HDP-Mitgliedern und Funktionären. Damit steht jetzt schon fest, dass die Parlamentswahlen am 1. November nicht in einer freien und demokratischen Atmosphäre verlaufen.
Ein Regime, das zur Aufrechterhaltung seiner Macht auf terroristische Anschläge, Krieg, faschistische Rollkommandos und Massenverhaftungen von Oppositionellen setzt, darf kein Partner der Bundesregierung sein – schon gar nicht bei der Abwehr von Flüchtlingen.
Der zweitägige landesweite Streik linksgerichteter Gewerkschaften in der Türkei zu Wochenbeginn war eine erste machtvolle Antwort auf das Massaker von Ankara. So wurde deutlich, dass sich die linken und demokratischen Kräfte nicht einschüchtern lassen. Denn jetzt gilt es Erdogan und sein Regime in die Knie zu zwingen! An der Wahlurne und auf der Straße!