Gemeinsame Presseerklärung von Ulla Jelpke und Martina Renner
Die Angriffe auf Flüchtlinge und ihre Unterkünfte sind in den letzten Wochen noch einmal sprunghaft angestiegen. Fast täglich liest man in der Presse von solchen Angriffen, und es ist reines Glück, dass es bisher nicht zu Todesopfern gekommen ist. Während ein Teil der Bevölkerung mit großem Engagement Solidarität mit den Flüchtlingen zeigt, macht sich auf der anderen Seite ein rassistischer Mob immer stärker bemerkbar. Im Schatten von Pegida, der NPD und anderen Teilen der extremen Rechten, angefeuert auch durch die Parolen der AfD, breitet sich die Gewalt gegen Flüchtlinge immer weiter aus.
Mehr als 400 Angriffe auf Flüchtlinge und ihre Unterkünfte hat es seit Jahressbeginn gegeben. Das BKA geht dabei von ca. 60 Gewalttaten wie Brand- oder Sprengstoffanschläge und Körperverletzungen aus. Aber das Dunkelfeld in diesem Bereich ist offensichtlich noch sehr viel größer.
Die Fraktion DIE LINKE hat deshalb das Antifaschistische Pressearchiv und Bildungszentrum Berlin (apabiz) mit einer Auswertung der von uns regelmäßig abgefragten Zahlen der rechten Angriffe beauftragt, die heute der Presse vorgestellt wurde. Deutlich wird hier, dass viele Fälle niemals den Weg in die Statistiken der Behörden finden. Während in den BKA-Zahlen ca. 26 Brandanschläge bis Mitte September genannt werden, dokumentiert die Auswertung des apabiz 63 solcher Anschläge – 37 davon gegen bewohnte Einrichtungen, womit die Gefährdung von Leib und Leben der Opfer bewusst in Kauf genommen wird. Obwohl sich diese Taten also gezielt gegen Menschen richten, ist bis heute in keinem einzigen Fall wegen versuchten Mordes ermittelt worden.Diese Anschläge finden in einem Klima der Angst und Einschüchterung statt, zu dem auch die hohe Zahl der rechten Aufmärsche im Zusammenhang mit der Flüchtlingsunterbringung beiträgt. Am Beispiel Berlins verdeutlicht das apabiz, in wie geringem Maße sich diese alltägliche Einschüchterung in den Zahlen des Bundes wiederspiegelt: Während die Bundesregierung auf unsere Anfrage für das erste Quartal 2015 ganze zwei Demonstrationen mit zusammen 65 TeilnehmerInnen für Berlin auflistet, kommt das apabiz für denselben Zeitraum auf 22 weitere Naziaufmärsche in Berlin mit ca. 1.800 TeilnehmerInnen. Rechnet man die wöchentlichen „Bärgida“-Aufmärsche (der örtliche Ableger von Pegida) hinzu, wären es sogar 34 Aufmärsche mit ca. 5.000 TeilnehmerInnen.
Deutlich wird an diesen Differenzen, dass das Gesamtbild des rassistischen Klimas in Teilen der Gesellschaft noch sehr viel besorgniserregender ist, als es die ohnehin schon dramatischen Zahlen der Sicherheitsbehörden nahelegen. Höchste Zeit also, dass hier massiv gegengesteuert wird und Maßnahmen zum wirksamen Schutz der Flüchtlinge ergriffen werden.
Aus Sicht der LINKEN müssen folgende Punkte verstärkt angegangen werden:
- Der genauere Blick auf die Täter ist für die Analyse und die Einleitung von Gegenmaßnahmen wichtig: BKA und BfV sollten bei der Frage nach rechten Tätern aufhören, immer die Frage nach möglichen bundesweiten oder regionalen Nazistrukturen hinter solchen Anschlägen in den Mittelpunkt zu stellen. Der NSU-Komplex hat gezeigt, dass wir es hier mit Strukturen jenseits klassischer Organisationsmuster zu tun haben. Die Warnungen von Innenminister de Maiziere und Verfassungsschutzchef Maaßen vor der Gefahr von Rechtsterrorsismus sind berechtigt, fraglich ist nur, ob ihr analytisches Instrumentarium seit dem NSU wirklich besser geworden ist.
- Die vermeintlich hohe Zahl von Tätern ohne pmk-rechts-Bezug zeigt noch einmal, dass das von uns kritisierte Konzept des Verfassungsschutzes tatsächlich für eine realistische Einschätzung nicht taugt. Der Extremismusblick ist einfach zu eng. Das BMI meldet uns auf unsere Anfragen aus einigen Ländern auch die vierteljährlichen Aufmarschzahlen der Gida-Märsche. Allerdings bekommt das BMI die Zahlen nur unvollständig. In Sachsen z.B. wird weder Pegida noch Legida (der eindeutig rechtsextrem beeinflusste Ableger in Leipzig) vom Landesamt für Verfassungsschutz in den Blick genommen – ‚fehlender Extremismusbezug‘, so die Begründung. Auf diese Art und Weise lässt sich kein wirksames Frühwarnsystem etablieren. Es muss hier zumindest zu einer einheitlichen Bewertung von Bund und Ländern kommen. Dazu gibt es auch Einrichtungen wie das „Gemeinsame Extremismus und Terrorismus Abwehrzentrum“ (GETZ).
- Zentral ist die Frage des konkreten Schutzes der Flüchtlinge: Hier wäre eine konsequente Strafverfolgung der Täter schon mal ein erster Schritt. Die Opferberatungen für Opfer rechter und rassistischer Gewalt können über ungezählte verharmlosende und entpolitisierende Urteile solcher Taten berichten. Natürlich ist es Aufgabe des Staates, die Menschen zu schützen. Wir wissen, dass – auch aufgrund der Kürzungsorgien der letzten Jahre – die Polizei häufig einfach überfordert ist. Hier muss es eine klare Prioritätensetzung geben. Wir sehen es z.B. als unsinnig an, wenn die Polizei in der aktuellen Situation mit unzähligen Fällen von „illegaler Einreise“ befasst wird, anstatt sich z.B. um den Schutz der Menschen kümmern zu können.
- Schließlich muss es präventiv um das Thema Rassismus gehen: Die Projekte und Programme zu den Themen Rechtsextremismus und Rassismus müssen ausgebaut und verstetigt werden. Wie sollen eigentlich Mobile Beratungsteams gegen Rechtsextremismus in der gegenwärtigen Situation den Bedarf an Beratung in einem Bundesland wie Sachsen oder Bayern abdecken können, wenn hier fünf oder sechs BeraterInnen für ein ganzes Flächenland zuständig sind?
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