Bundestag verlängert Terrorgesetze. Evaluation spart kritische Fragen aus
von Ulla Jelpke (erschienen in der jungen Welt am 06.11.2015)Mit den Stimmen der großen Koalition aus SPD und Unionsparteien beschloss der Bundestag am Donnerstag die erneute fünfjährige Verlängerung von Antiterrorgesetzen, die tief in die Grundrechte der Bürger eingreifen. Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 in den USA waren auch in der Bundesrepublik die Befugnisse der Geheimdienste zu »besonderen Auskunftsverlangen« gegenüber Reiseunternehmen, Telekommunikationsdienstleistern und Banken erheblich ausgeweitet worden.
Diese eigentlich zeitlich befristeten Sondervollmachten zu Eingriffen unter anderem in das Post- und Fernmeldegeheimnis wurden unter allgemeinem Verweis auf eine angeblich fortbestehende terroristische Bedrohung bereits zwei Mal verlängert. Zwar wurde diese Verlängerung an eine Evaluationspflicht gebunden. Doch in der Praxis gibt es nach Ansicht der Linksfraktion, die für die Abschaffung dieser Gesetze eintritt, eine »legitimatorische Evaluierungspraxis« durch das Bundesinnenministerium.
Dieses nahm die erste Bewertung kurzerhand selbst vor, sie enthielt lediglich eine statistische Darstellung zur Anwendung der Gesetze nebst Selbsteinschätzung der Sicherheitsdienste zu deren Nutzen. Eine zweite Evaluation ging trotz Hinzuziehung eines externen Sachverständigen inhaltlich nicht darüber hinaus. Grundlage der jetzt beschlossenen dritten Verlängerung der Terrorgesetze ist ein von Professor Jan Ziekow vom »Institut für Gesetzesfolgenabschätzung und Evaluation« in Speyer erstelltes Gutachten. Darin wird der zurückhaltende Einsatz der Schnüffelvollmachten – sie kommen nur einige Dutzend Mal im Jahr zur Anwendung – gelobt. Bezüglich des Nutzens der Gesetze stützt sich das Gutachten aber auf die Selbsteinschätzung der Geheimdienste. Die Sonderbefugnisse werden zwar durchgehend als verhältnismäßig angesehen. Doch warnt der Gutachter: »Die Kumulation von Grundrechtseingriffen erhöht die Intensität des Grundrechtseingriffs. Mehrere für sich betrachtet möglicherweise angemessene oder zumutbare Eingriffe in grundrechtlich geschützte Bereiche können in ihrer Gesamtwirkung zu einer schwerwiegenden Beeinträchtigung führen, die das Maß der rechtsstaatlich hinnehmbaren Eingriffsintensität überschreitet.« Im Klartext bedeutet dies, dass zur Beurteilung der tatsächlichen Grundrechtsbeeinträchtigung durch einzelne Maßnahmen eine »Überwachungsgesamtrechnung« nötig ist, die auch andere Überwachungsgesetze und die technischen Möglichkeiten der Datenvernetzung berücksichtigt. Der Evaluationsbericht zu den Terrorgesetzen erkennt diese auch vom Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zur Vorratsdatenspeicherung vorgebrachte Problematik, doch weiter heißt es: »Eine solch umfassende Analyse ist jedoch vom Evaluationsauftrag nicht abgedeckt gewesen.« Kein Wunder, denn dieser Auftrag kam ja vom Bundesinnenministerium, das den Rahmen so eng gesetzt hatte, dass eine sorgfältige grundrechtsbezogene Prüfung verhindert wurde.