Artikel: Abschieben nach Afghanistan

Innenministerkonferenz erklärt das Land am Hindukusch für sicher. Schikanen gegen syrische Asylsuchende

Von Ulla Jelpke (erschienen in der jungen Welt am 05.12.2015)
 
Die Innenminister von Bund und Ländern sind sich einig: Afghanistan ist sicher genug, um Flüchtlinge dorthin abzuschieben. Es sei »besorgniserregend«, so Bundesinnenminister Thomas de Maizière, dass immer mehr Afghanen ihr Land verließen. Man sei sich einig, dass eine Rückführung von Flüchtlingen »in sichere Gebiete« des Landes »grundsätzlich« erlaubt sei, fasste er das am Mittwoch abend begonnene Treffen der Innenministerkonferenz (IMK) in Koblenz zusammen. Wo diese Gebiete sein sollen, ließ er offen. Die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl nannte den IMK-Beschluss unverantwortlich: Es gebe in Afghanistan »keine auf Dauer sicheren Gebiete«, sagte Geschäftsführer Günter Burkhardt. »Das ist ein Spiel um Menschenleben.« Vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) wurden zuletzt über 86 Prozent der Asylanträge von Afghanen anerkannt.

Mit einem anderen Beschluss haben die Innenminister dafür gesorgt, dass die Asylverfahren erheblich verlängert werden: Sämtliche Flüchtlinge sollen in Zukunft wieder einer Einzelfallprüfung unterzogen werden. In der Vergangenheit waren vor allem Syrer davon verschont geblieben und infolge eines vereinfachten schriftlichen Verfahrens anerkannt worden. Grundlage dafür waren die hohen Anerkennungsquoten von nahezu 100 Prozent. Durch die Wiedereinführung mündlicher Anhörungen droht dem ohnehin überlasteten Asylsystem der bürokratische Kollaps. Die Flüchtlinge werden dadurch »in monatelange Warteschleifen« gezwungen, wie es Pro Asyl formulierte. In dieser Zeit haben sie drastisch verringerte Chancen auf Arbeitsaufnahme und Integrationsmaßnahmen.

 Womöglich setzen die Innenminister auf einen Abschreckungseffekt. De Maizière und IMK-Chef Roger Lewentz (SPD) begründeten die Maßnahme mit Sicherheitsaspekten: Manche Asylsuchenden würden sich fälschlich als Syrer ausgeben. Allerdings musste de Maizière auf Anfrage der Linksfraktion erst vor zwei Wochen zugeben, dass bislang lediglich in 126 Fällen syrische Reisepässe in irgendeiner Form beanstandet wurden – das entspricht gerade einmal 0,2 Prozent der bisher 55.587 Asyl­anträge von Syrern.