Selbstmordattentäter des »Islamischen Staates« planten ein Blutbad an Münchner Bahnhöfen. So lauteten am Silvesterabend die Horrormeldungen. Bahnhöfe wurden gesperrt, Hotels nach verdächtigen Ausländern durchsucht, schwerbewaffnete Polizisten marschierten auf. Wenige Tage später ist lediglich noch von einer »abstrakten Gefahr« die Rede. An Selbstmordattentäter in München scheinen selbst die bayerischen Behörden nicht mehr zu glauben.
Der Tipp sei vom französischen Geheimdienst gekommen, hieß es zuerst in den Medien. Kurz darauf wurde ein US-Geheimdienst als Urheber benannt. Der Hinweis sei aus dem Irak gekommen, wurde dann wieder behauptet, der Bundesnachrichtendienst habe eine Quelle direkt befragt. Schließlich hieß es, ein irakisches Brüderpaar habe kurz vor Weihnachten bei einer süddeutschen Polizeidienststelle vor Anschlägen auf den Nahverkehr gewarnt. Doch weder Interpol- noch Europol-Recherchen erbrachten Hinweise, ob die als Attentäter namentlich benannten Syrer und Iraker überhaupt existierten.
»Wer hat’s erfunden?« – Diese Frage lässt sich in einem bekannten Werbespot für Schweizer Kräuterbonbons noch eindeutig beantworten. Die Erfinder des Münchner Terroralarms scheinen dagegen ungleich zahlreicher zu sein.
Solches Verwirrspiel hindert Bundesinnenminister Thomas de Maizière nicht daran, als Konsequenz aus der Münchner Terrorwarnung eine engere Kooperation mit ausländischen Geheimdiensten zu fordern. Sekundiert wird ihm dabei vom innenpolitischen Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Burkhard Lischka. Es sei das »bislang größte Versäumnis im Antiterrorkampf«, dass es in der EU keine ausreichende institutionelle Zusammenarbeit von Polizeibehörden und Nachrichtendiensten gebe, beklagte der SPD-Politiker. Als Vorbild für eine entsprechende europäische Koordinierungsstelle verwies Lischka auf das Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum von 40 Polizei- und Geheimdienstbehörden von Bund und Ländern in Berlin. Bereits dessen Existenz ist ein offener Affront gegen das als Lehre aus den Erfahrungen mit der Gestapo unter der Nazidiktatur grundgesetzlich verfügte Trennungsgebot zwischen Polizei und Geheimdiensten. Aber solcherlei Bedenken bestehen für die Sozialdemokratie auf europäischer Ebene offenbar gleich gar nicht mehr.
Inzwischen beansprucht die Türkei die Urheberschaft für die Münchner Terrorwarnung. Der Geheimdienst MIT habe entsprechende Erkenntnisse an seine europäischen Partnerdienste weitergegeben, meldeten türkische Zeitungen am Montag. Dass der MIT über solche Informationen verfügen könnte, steht außer Zweifel. Schließlich hat er den »Islamischen Staat« maßgeblich mit aufgebaut und bewaffnet.
Angesichts solcher Partner sollte nicht engere Zusammenarbeit, sondern der Abbruch der Kooperation deutscher Behörden mit ausländischen Geheimdiensten das Gebot der Stunde sein. Das würde tatsächlich ein Mehr an Sicherheit, Bürgerrechten und Rechtsstaatlichkeit bedeuten.
Kommentar erschien in junge Welt vom 5.1.2015