Rede zu TOP 10 der 158. Sitzung des 18. Deutschen Bundestages
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesstatistikgesetzes und anderer Statistikgesetze (BT-Drs.: 18/7561)
Ulla Jelpke (DIE LINKE):
Ich dachte schon, Sie wollten mir die zwei Minuten schenken. Schade! – Meine Damen und Herren! Frau Präsidentin! Wir beraten hier heute über einen von der Bundesregierung eingebrachten Vorschlag zur Reform des Bundesstatistikgesetzes, die – ich zitiere – „eine praxisgerechte Modernisierung des rechtlichen Rahmens der Bundesstatistik“ bezweckt. Was nach einer Routineanpassung klingt, greift in Wirklichkeit in einen bürgerrechtlich äußerst sensiblen Bereich ein.
Die grundlegende Novellierung des Bundesstatistikgesetzes erfolgte 1987 aufgrund des Volkszählungsurteils des Bundesverfassungsgerichts. Das damals vom Gericht eingeführte Recht auf informationelle Selbstbestimmung muss für uns weiter Geltung haben.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Meine Damen und Herren, wenn der vorliegende Gesetzesantrag zu größerer Transparenz bei der Datenerhebung und -aufbereitung führt, begrüßen wir das natürlich. Auch einzelne Elemente, wie etwa die vorgesehenen technischen Vorkehrungen zur Pseudonymisierung, sehen wir als Fortschritt.
Doch wo Licht ist, da ist auch Schatten. Äußerst kritisch sieht die Linke das geplante Anschriftenregister. Zu jeder Anschrift im gesamten Bundesgebiet sollen Postleitzahl, Gemeindebezeichnung, Straßenbezeichnung mit Hausnummer, Geokoordinate, Gesamtzahl der Personen je Anschrift sowie Wohnraumeigenschaften gespeichert werden. Das ist nicht weniger als eine Kartografierung der gesamten deutschen Bevölkerung. Begründet wird dies mit stichprobenartigen Befragungen wie bei dem EU-weiten Zensus von 2011. Doch der nächste EU-Zensus steht erst 2021 an. Niemand kann sagen, ob die EU dann überhaupt noch in ihrer aktuellen Form bestehen wird. Doch die Bundesregierung will schon jetzt fleißig Daten horten, und zwar höchst sensible Daten; denn es gibt eine Menge Leute, die zum Beispiel gerne wüssten, in welchen Einfamilienhäusern nur noch eine Person lebt oder gar keine, zum Beispiel Immobilienmakler oder auch Einbrecherbanden. Wenn solche Angaben dann noch mit weiteren Datenbanken zusammengeführt werden, ist es schnell vorbei mit der Anonymität. Ich denke hier an das sogenannte Geoscoring, also die Ermittlung der Kreditwürdigkeit von Kunden anhand ihres Wohnortes.
Die Bundesregierung muss erklären, wie sie die sensiblen Daten vor Missbrauch schützen will. Sie muss offenlegen, ob und wie sie zukünftige Begehrlichkeiten und Nutzungsansprüche von Sicherheitsbehörden oder kommerziellen Anbietern unterbinden kann.
Meine Damen und Herren, es wurde eben schon gesagt: Auch der Bundesrat hat Bauchschmerzen bei dem Gesetz. Denn einige neue Regelungen greifen direkt in die Länderzuständigkeit ein. Zudem fehlt ein Umsetzungskonzept. Klar ist nur, dass die Länder den Löwenanteil der Kosten tragen sollen. Wir meinen: Bundesländer brauchen Statistiken gerade im Bereich der Wirtschaft, um eine eigene Politik umzusetzen. Doch sie sollten auch weiterhin die volle Gewalt über diese Daten behalten.
Bei dem vorliegenden Gesetzentwurf sind noch viele Fragen offen. Wir werden hier gewiss nicht die Katze im Sack kaufen. Dafür ist uns das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung viel zu wichtig.
Schönen Dank.
(Beifall bei der LINKEN)