Ulla Jelpke (DIE LINKE):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Strobl, es ist wirklich zynisch, wenn man hier immer wieder den Eindruck erweckt, als wenn Menschen, die Schutz suchen, ob vor Krieg oder vor Armut, einfach so herkommen, um hier unsere Sozialstrukturen in Anspruch zu nehmen. Damit wird hier immer wieder Misstrauen geschürt.
(Beifall bei der LINKEN – Thomas Strobl (Heilbronn) (CDU/CSU): Die gibt es aber auch!)
Das ist einfach unerträglich.
Meine Damen und Herren, ich möchte zunächst einmal sagen: Dies ist wirklich keine Sternstunde des Parlaments. Heute wird das Asylpaket II eingebracht, und innerhalb von wenigen Tagen, nämlich schon nächste Woche, soll es hier verabschiedet werden. Ich halte es für einen ausgesprochen undemokratischen Vorgang,
(Max Straubinger (CDU/CSU): Dass die Mehrheit entscheidet, oder?)
dass sich die Regierung monatelang Zeit nimmt und ihren Showkampf und ihre Streitereien austrägt, während dieses Parlament überhaupt keine Zeit haben soll, demokratisch und sorgfältig darüber zu beraten, was wirklich nötig ist.
(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Das ist wirklich eine Frechheit in der Demokratie, dass die Mehrheit entscheidet!)
Das ist wirklich ein Skandal.
Es wird hier nur noch über Fragen diskutiert wie: Wie können wir am schnellsten abschieben? Wie können wir uns am besten abschotten? Wie können wir am besten abschrecken? Genau dem entspricht der Inhalt dieses Pakets: Das Asylrecht wird bis zum Gehtnichtmehr ausgehöhlt. Beispielsweise werden EU-Richtlinien einfach zur Seite gelegt. Mitmenschlichkeit spielt hier überhaupt keine Rolle mehr. Integrationsvorschläge gibt es von Ihrer Seite überhaupt nicht.
(Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Mit Lesen haben Sie es nicht so, oder?)
Das ist wirklich ein Schlag ins Gesicht all derjenigen Menschen, die sich in diesem Land um Flüchtlinge bemühen.
Schauen Sie sich die vielen Stellungnahmen an – von den Wohlfahrtsverbänden, von den Kirchen, von den Flüchtlingsorganisationen.
(Thomas Strobl (Heilbronn) (CDU/CSU): Haben Sie bei dem Zitat von Rupert Neudeck zugehört?)
Sie gehen von einer Willkommenskultur zu einer Willkommensunkultur über. Das machen wir nicht mit.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))
Beschleunigte Verfahren: Was passiert hier eigentlich? Ganz schnell werden weitere Staaten als sichere Herkunftsstaaten eingestuft. Sonderlager mit 3 000 Plätzen und mehr werden eingerichtet.
(Thomas Oppermann (SPD): „Sonderlager“?)
Dann werden Menschen dorthin verbracht. Innerhalb von drei Wochen soll das Asylverfahren einschließlich gerichtlichem Verfahren abgeschlossen sein.
(Thomas Strobl (Heilbronn) (CDU/CSU): Genau!)
Diese Sonderlager, meine Damen und Herren, sind einfach nur ein Grauen. Dass ein Land wie Deutschland sich so etwas wieder leistet, kann man einfach nur zurückweisen;
(Beifall bei der LINKEN)
denn das individuelle Asylrecht haben auch diese Menschen, und das muss vernünftig geprüft werden.
(Thomas Strobl (Heilbronn) (CDU/CSU): Wird es auch!)
Nicht weniger perfide ist beispielsweise, dass schon ein zweimaliger Verstoß gegen die Residenzpflicht – ein solcher Verstoß liegt vor, wenn jemand zum Beispiel ohne Genehmigung einfach mal von Berlin nach Brandenburg fährt – dazu führen kann, dass ein Asylantrag für nichtig erklärt wird.
(Thomas Strobl (Heilbronn) (CDU/CSU): Bei uns gibt es Regeln, und die muss man beachten! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Dann soll er es nicht machen!)
Wo sind wir denn, dass ein Grundrecht einfach mal eben so ausgehebelt wird, nur weil ein Mensch vielleicht Freunde besuchen will? Das kann ja wohl nicht wahr sein!
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Gleichzeitig haben Sie vor, die Standards für Abschiebungshindernisse zu senken, wenn es um den Gesundheitszustand geht. Sie gehen sogar so weit, festzulegen, dass es demnächst kein Abschiebungshindernis mehr sein soll, wenn Menschen von Bürgerkrieg und Flucht traumatisiert sind. Das kann ja wohl nicht wahr sein! Wissen Sie eigentlich, was es bedeutet, wenn das Gesetz fordert, innerhalb von zwei Wochen ein fachärztliches Gutachten beizubringen? Wie soll jemand, der der deutschen Sprache nicht mächtig ist, in zwei Wochen ein solches Fachgutachten beibringen? Auch der Psychologenverband kritisiert es ganz scharf, dass im Grunde genommen Menschen, die schwer krank sind, in Zukunft einfach abgeschoben werden sollen. Diese Regelung ist ein Skandal.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Was den Familiennachzug angeht: Sie haben immer wieder versprochen, legale Wege zu schaffen, auf denen Menschen hierherkommen können, nach Europa, nach Deutschland kommen können. Und was machen Sie? Sie betreiben hier wieder das Geschäft der Schleuser, indem Sie die Menschen genau zu diesen Schleusern treiben, weil die Menschen sonst überhaupt keine Möglichkeit haben, hierherzukommen. Wir sehen tagtäglich, wie Frauen und Kinder im Mittelmeer ertrinken. Auch hier muss man wirklich fragen: Was ist das eigentlich für ein Zynismus?
Sie haben ein Gesetz zum Beispiel mit den Kölner Ereignissen begründet.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Frau Kollegin.
Ulla Jelpke (DIE LINKE):
Zu Recht werden die Kölner Ereignisse kritisiert. Und was machen Sie jetzt? Den Schutz von Frauen und Kindern finden wir in diesem Gesetzentwurf heute nicht wieder, obwohl das versprochen wurde, sowohl von der SPD als auch von der Union.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Meine Damen und Herren, es ist hier schon gesagt worden: Jedes Kind, das aus einem Land flüchtet, ist ein Härtefall. Was haben Sie eigentlich für eine Vorstellung von der Situation, wenn Eltern ihre Kinder losschicken? In Afghanistan zum Beispiel ist es so, dass die Warlords und andere Kriegstreiber Jugendliche einkassieren und ausbilden, um sie für den Krieg fit zu machen. Es kann ja wohl nicht sein, dass wir so etwas mittragen bzw. dass hier die UN-Kinderrechtskonvention einfach außer Kraft gesetzt wird!
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.
Ulla Jelpke (DIE LINKE):
Ich komme zum letzten Satz.
Das Asylpaket ist ein Paket von Grausamkeiten. Wir werden es auf gar keinen Fall mittragen, und wir werden den Widerstand in der Bevölkerung unterstützen.
Ich danke Ihnen.
(Beifall bei der LINKEN)