Rede zu TOP Zusatzpunkt der 155. Sitzung des 18. Deutschen Bundestages – Beratung des Antrags der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Demokratie stärken – dem Hass keine Chance (Bt-Drs. 18-7553)
Ulla Jelpke (DIE LINKE):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hatte eigentlich gedacht, es ist eine Selbstverständlichkeit, dass bei einem Thema wie heute, wenn es darum geht, gegen Hass, Hetze und rassistische Gewalt vorzugehen, alle im Hause dem Antrag folgen können, dass sie diese Debatte so wichtig finden, dass man mehr Präsenz zeigt
(Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das stimmt!)
und dass man vor allen Dingen ernsthaft und sachlich über dieses Thema spricht, anders als Herr Wendt und Herr Ullrich es eben getan haben.
(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Ich möchte einen Punkt aufgreifen, der, finde ich, im Antrag zu kurz kommt, und zwar die Analyse der Ursachen für die massive Zunahme fremdenfeindlicher Gewalt und Hasspropaganda.
Es heißt im Antrag – dass wurde schon vom Kollegen Hofreiter zitiert -:
Es ist die Aufgabe aller demokratischen Kräfte, einer Spaltung der Gesellschaft unmissverständlich entgegenzutreten.
Ich meine aber, dass diese Spaltung längst Realität ist. Die Kluft zwischen Arm und Reich war nie größer. Deutschland ist heute das Land mit der höchsten Vermögensungleichheit innerhalb der Euro-Zone, so der Paritätische Wohlfahrtsverband. 16 Prozent leben unter der Armutsgrenze. Die obersten 10 Prozent verfügen über die Hälfte des gesamten Vermögens, Tendenz steigend. Millionen Menschen sind prekär beschäftigt. Sie leben trotz Arbeit am Existenzminimum. Die Altersarmut nimmt rasant zu.
All das sind Folgen einer jahrzehntelangen neoliberalen Politik der Umverteilung von unten nach oben, begleitet von fortschreitendem Demokratieabbau. Das ist der soziale Nährboden, auf dem Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Pegida und AfD gedeihen. Es sind nicht nur die Neonazis und Pegida-Anhänger, die die Menschen gegeneinander aufhetzen. Herr Ullrich, Sie haben gerade wieder die entsprechenden Stichworte genannt. Auch in Ihren Reihen, in der Bundesregierung finden sich immer wieder Unterstützer für diese Hetzer.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
Hier im Parlament: Einmal geht es gegen die Armutszuwanderer aus Bulgarien und Rumänien sowie vom Westbalkan, dann sind die Menschen aus Afghanistan angeblich nicht schutzbedürftig, dann wiederum geht es gegen die sogenannten Antanzer aus Nordafrika. Diese Rhetorik befeuert die fremdenfeindliche Mobilmachung von rechts außen.
(Barbara Woltmann (CDU/CSU): Wollen Sie die Straftäter in Schutz nehmen? Das schlägt dem Fass den Boden aus!)
Im Antrag der Grünen ist die Rede von Rassismus und Antisemitismus, Sexismus und Homophobie. Aber auch hier möchte ich anmerken: Es fehlt die seit Jahren anwachsende Islamfeindlichkeit. Sie muss genauso geächtet werden wie alle rassistischen Auswüchse.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Für das vergangene Jahr zählte die Bundesregierung – auf Anfrage der Linken – rund 70 Übergriffe auf muslimische Einrichtungen, von Nazischmierereien über eingeschlagene Fenster bis hin zu schweren Brandstiftungen. Allein in den ersten drei Wochen des neuen Jahres meldeten die Moscheegemeinschaften rund 80 weitere Angriffe. Nach den frauenfeindlichen Übergriffen in der Kölner Silvesternacht haben Schmäh- und Bedrohungsszenarien sprunghaft zugenommen, wie die muslimischen Verbände beklagen. Es ist in der Tat nicht hinnehmbar, wie hier eine ganze Religionsgemeinschaft pauschal verächtlich gemacht wird.
(Beifall bei der LINKEN)
Um es deutlich zu sagen: Die Täter von Köln müssen ermittelt und bestraft werden, keine Frage.
(Beifall der Abg. Matthias W. Birkwald (DIE LINKE) und Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))
Doch es ist geradezu absurd, dass nun Nazis, Hooligans und Rocker, deren mittelalterliches Frauenbild sich kaum von dem der Salafisten unterscheidet, Bürgerwehren zum Schutze „unserer“ Frauen bilden, weil die vermeintlichen Täter von Köln nicht deutscher Herkunft sind. Lassen wir es nicht zu, dass das Eintreten gegen sexistische Gewalt und der Kampf gegen Rassismus gegeneinander ausgespielt werden. Es darf keine Angsträume in unseren Städten geben, weder für Frauen noch für Flüchtlinge und Migranten.
Ich danke Ihnen.
(Beifall bei der LINKEN)