Artikel: Bürokratische Warteschleife

Asylstatistik 2015: Hohe Schutzquoten und aufwändige Prüfungen

Von Ulla Jelpke (erschienen in der jungen Welt am 10.03.2016)
 
Das durchschnittliche Asylverfahren dauerte in Deutschland im vergangenen Jahr mindestens 8,2 Monate. Das brachte die von der Bundestagsfraktion Die Linke gestellte kleine Anfrage zur Asylstatistik 2015 zutage. Offiziell gibt die Bundesregierung die durchschnittliche Verfahrensdauer nur mit 5,2 Monaten an. Dabei bleibt jedoch unberücksichtigt, dass im vergangenen Jahr beinahe jeder Schutzsuchende nach der Registrierung bereits mindestens drei Monate warten musste, um überhaupt einen Asylantrag stellen zu können. Aus der Praxis wird von Wartezeiten bis zu einem Jahr berichtet. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) nennt für lange Wartezeiten die Überlastung der Behörde. Von der selbstauferlegten Zielvorgabe dreimonatiger Asylverfahren ist BAMF-Chef Frank-Jürgen Weise noch weit entfernt.

Die von der Bundesregierung genannten Zahlen zeigen, dass die Anerkennungsquote im Jahr 2015 insgesamt so hoch war wie nie zuvor. Berücksichtigt man nur die inhaltlichen, also nicht die rein formellen Entscheidungen über Asylgesuche, ergibt sich eine sogenannte bereinigte Gesamtschutzquote von knapp über 60 Prozent. Bei Flüchtlingen aus Syrien, Eritrea und dem Irak lag die Quote bei knapp 100 Prozent.

Jedoch müssen selbst solche Schutzsuchenden oft über ein Jahr auf eine Asylentscheidung warten. So zogen sich bei afghanischen, eritreischen und somalischen Flüchtlingen die Verfahren durchschnittlich 13 bis 14 Monate hin. Bei Schutzsuchenden aus dem Iran waren es sogar rund 17 Monate. Am schnellsten ging es bei syrischen Flüchtlingen, deren Asylantrag zumeist im beschleunigten schriftlichen Verfahren entschieden wurde, was im Schnitt knapp zweieinhalb Monate dauerte. Jene Syrer, deren Asylbegehren in aufwändigeren Verfahren mit individueller Anhörung geprüft wurde, warteten ab Antragstellung mit durchschnittlich 6,2 Monaten mehr als doppelt so lange.

 Aufschlussreich ist ein Blick auf die Zahlen der Dublin-Verfahren im vergangenen Jahr. In diesen wird überprüft, ob ein anderer EU-Mitgliedsstaat für das Asylverfahren verantwortlich ist und der Schutzsuchende dorthin zu überstellen ist. Zuständig ist in der Regel das Land, über das die erste Einreise in die EU erfolgt ist. Jedoch gibt es in der Praxis zahlreiche Ausnahmen von dieser Regel, etwa aufgrund von Überstellungshindernissen. Bei 44.892 Asylsuchenden wurde im Jahr 2015 eine Prüfung nach der Dublin-Verordnung durchgeführt, an andere EU-Staaten vermittelt wurden 3.597 Personen. Allerdings musste Deutschland auch 3.032 Flüchtlinge aus anderen Mitgliedsstaaten aufnehmen. Im Ergebnis stellen diese aufwändigen Prüfungen also ein Nullsummenspiel dar.

Ein ähnliches Missverhältnis zwischen bürokratischem Aufwand und effektivem Ergebnis bestand 2015 bei den obligatorischen, drei Jahre nach Anerkennung erfolgenden Widerrufsprüfungen. In den rund 10.000 Verfahren hoben die Behörden nur in zirka drei Prozent der Fälle den Schutzstatus auf. Einer gerichtlichen Überprüfung hält wiederum nur etwa ein Drittel der Widerrufe stand.

Schließlich erfolgte im Zuge der kleinen Anfrage eine Sonderauswertung des Ausländerzentralregisters in bezug auf das Verhältnis von abgelehnten Asylanträgen und Abschiebungen sowie Ausreisen abgelehnter Flüchtlinge. Diese macht deutlich, dass zwei Punkte die öffentlichen, oft als zu niedrig bemängelten Abschiebequoten verzerren. Zum einen waren rund 55 Prozent der Asylsuchenden, die im Jahr 2015 bestandskräftig abgelehnt wurden, bereits Ende des Jahres gar nicht mehr in Deutschland. Grund dafür ist entweder eine erfolgte Abschiebung oder – in den meisten Fällen – die freiwillige Aus- bzw. Weiterreise. Zum anderen hat ein nicht unerheblicher Anteil der Abgelehnten ein Recht darauf, in Deutschland zu bleiben oder zumindest nicht abgeschoben zu werden – etwa aus humanitären Gründen, aufgrund einer Härtefallentscheidung, wegen medizinischer Abschiebungshindernisse oder infolge einer Eheschließung. Von den abgelehnten Schutzsuchenden, die sich Ende 2015 noch in Deutschland aufhielten, hatten 51 Prozent aus unterschiedlichen Gründen eine Duldung, 14 Prozent sogar einen Aufenthaltstitel.