Amnesty International hat zwischen 2010 und 2014 in Marokko 173 »exemplarische« Fälle von Folter dokumentiert. Die Praxis reiche von »Schlägen, dem Aufhängen in Stresspositionen bis hin zur Erstickungsgefahr, simuliertem Ertränken, psychologischer und sexueller Gewalt«. Gefährdet seien »politische Aktivisten, die sich gegen Armut, Ungleichheit oder Ausbeutung natürlicher Ressourcen einsetzen, politisch links orientierte und studentische Aktivisten, Befürworter der Selbstbestimmung der Sahrauis« und viele mehr. Wiebke Judith, Vertreterin von Amnesty, wusste am vergangenen Montag im Innenausschuss des Bundestages noch von etlichen weiteren Fällen politischer und gruppenbezogener Verfolgung in Marokko, aber auch Algerien und Tunesien zu berichten. Der Ausschuss sollte in einer öffentliche Anhörung über den Antrag der Regierungsfraktionen beraten, diese Länder als »sichere Herkunftsstaaten« einzustufen.
Doch Vertreter von Union und SPD hatten für die Ausführungen der Menschenrechtlerin kein Ohr. Sie verfolgen mit ihrem Gesetzentwurf, der Ende Mai im Bundestag beschlossen werden soll, eingestandenermaßen den Zweck, Asylanträge aus den Maghreb-Staaten deutlich zu reduzieren. In die Anhörung entsandten sie nicht etwa unabhängige Experten, sondern Beamte aus Ministerien und Ämtern, die zur Menschenrechtslage in den genannrwn Ländern gar nichts sagen konnten. Die Linksfraktion hatte vergeblich gegen diese Praxis protestiert. Die SPD verteidigte ihr Vorgehen: Die von ihr benannte Sachverständige, Ursula Gräfin Praschma aus dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), solle darüber Auskunft geben, ob mit dem Gesetzentwurf eine Verfahrensbeschleunigung erreicht werden könne. Damit nahm die SPD das Ergebnis der Anhörung schon vorweg, bevor sie überhaupt begonnen hatte.
Gräfin Praschma führte erwartungsgemäß aus: Die Folgen einer Einstufung als sichere Herkunftsländer – beschleunigte Verfahren, Unterbringung in Sonderlagern – hätten »nachhaltig eine abschreckende Wirkung« auf angeblich »unberechtigte Antragsteller«. Die von der Linksfraktion als Sachverständige benannte Amnesty-Vertreterin Judith verwies allerdings darauf, dass das Konzept sicherer Herkunftsstaaten auf die »regelmäßige Ablehnung« von Asylanträgen ziele und »eine sorgfältige und unvoreingenommene Einzelfallprüfung gerade nicht beabsichtigt« sei. Die veröffentlichten Zahlen geben ihr recht: Im vorigen Jahr lag die offizielle Anerkennungsquote für Flüchtlinge aus Marokko noch bei 8,2 Prozent. Mittlerweile ist nicht nur die Zahl der Schutzsuchenden von dort drastisch von etlichen tausend auf wenige hundert pro Quartal zurückgegangen, sondern auch die Anerkennungsquote, die sich jetzt nur noch bei rund einem Prozent bewegt. Offensichtlich hat man beim BAMF die Signale verstanden.
Rechtsanwalt Reinhard Marx, von den Grünen als Sachverständiger benannt, betonte, ein Staat dürfe nur als sicher eingestuft werden, wenn es dort »generell und durchgängig« keine Verfolgung oder Folter gebe. Aber keines der drei Länder erfülle diese Voraussetzung. In Marokko werde Folter zur Aussagenerpressung systematisch angewandt. Unabhängige Beobachter, etwa von Amnesty, werden seit Jahren nicht mehr ins Land gelassen oder gleich wieder ausgewiesen. Auch in Algerien werden Menschenrechte laut Marx und Judith mißachtet. Dort werde vielfach mit konstruierten Anklagen gegen Journalisten vorgegangen, und friedliche Demonstranten würden willkürlich festgenommen. Homosexuelle würden in allen drei Ländern systematisch verfolgt und mit Haftstrafen zwischen drei und fünf Jahren bedroht.