Maghreb-Staaten alles andere als »sicher«
Von Ulla Jelpke (erschienen in der jungen Welt am 18.06.2016)Die Grünen haben die Bundesratsabstimmung über die Einstufung Marokkos, Algeriens und Tunesiens zu »sicheren Herkunftsstaaten« verschieben lassen. Das ist weder ein Sieg für die Menschenrechte noch ein Zeichen, dass die Grünen zu konsequentem Eintreten für das Asylrecht zurückgefunden hätten. Sie brauchen nur Aufschub, um weiter zu verhandeln.
CDU-Generalsekretär Peter Tauber hat es treffend formuliert: »Die Grünen müssen beweisen, ob sie auch auf Bundesebene regierungsfähig sind.« Wer Hoffnungen auf eine schwarz-grüne Koalition hege, müsse dann auch unbequeme Entscheidungen treffen, »die den eigenen Anhängern und Wählern etwas zumuten«. Dass die Grünen dazu bereit sind, haben sie 1999 mit der Zustimmung zum Bombenkrieg gegen Jugoslawien bewiesen. Damit öffneten sie unter anderem der rassistischen Verfolgung von Roma in den jugoslawischen Nachfolgestaaten Tür und Tor. Folge: Bis heute suchen Roma Asyl in Deutschland. Aber in den letzten beiden Jahren sind ihre Herkunftsländer, mit den Stimmen von Grünen-Landeschef Winfried Kretschmann, pauschal als »sicher« eingestuft worden.
Mit den Maghreb-Staaten wird es etwas komplizierter. Sämtliche Menschenrechtsorganisationen berichten von systematischer Verfolgung Homosexueller und weitverbreiteter Folter. Am schlimmsten geht es in Marokko zu. Wer dort Zweifel am König äußert, der besetzten Westsahara ein Recht auf Eigenständigkeit einräumen will oder zu laut Armut und Ungleichheit anprangert, kriegt es mit der Polizei zu tun. Amnesty international berichtet von Schlägen, Scheinhinrichtungen und sexueller Gewalt in Polizeistationen und Gefängnissen. Auch in Tunesien wird gefoltert. Das Ausmaß von Folter sei aber in letzter Zeit »zurückgegangen« – so rechtfertigt die Bundesregierung ihre Ansicht, das Land sei nun »sicher« genug, um Asylsuchende von dort pauschal des »Asylmissbrauchs« zu bezichtigen. Denn genau das bedeutet das amtliche Siegel »sicher«: Asylanträge werden nicht unvoreingenommen geprüft, sondern gelten per se als unbegründet, es sei denn, der Antragsteller kann in kurzer Zeit das Gegenteil beweisen.
Mit dem Grundrecht auf Asyl hat das nichts zu tun. Auch ein Staat, der nur »ein bisschen« foltert, ist ein Folterstaat. Würden es die Grünen mit den Menschenrechten ernst meinen, gäbe es hier keinen Verhandlungsspielraum. Doch Kretschmann soll bereits seine Zustimmung signalisiert haben, wenn die Bundesregierung dafür verspreche, dass verfolgte Schwule und politische Akteure weiterhin Asyl erhalten – was ihnen nach dem Grundgesetz ohnehin zusteht. Der einzige Zweck eines solchen Pseudo-Deals ist es, die Grünen als Koalitionspartner der Union zu etablieren. Jene Grünen-Basisaktivisten, die sich für Flüchtlinge einsetzen, werden damit zum Feigenblatt grüner Asylfeindlichkeit degradiert.