De Maiziere bedient rassistische Ressentiments durch seine Unwahrheiten über Flüchtlinge

Rede zu TOP ZP der 179. Sitzung des 18. Deutschen Bundestages – Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS90/ DIE GRÜNEN Aussagen von Bundesminister de Maizière zu ärztlichen Attesten in Abschiebeverfahren

 

Ulla Jelpke (DIE LINKE):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das, was Sie sich hier gerade geleistet haben, war purer Zynismus

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

vor dem Hintergrund einer sehr wichtigen und traurigen Debatte, die wir hier gerade führen.

Herr Minister, ich muss Ihnen sagen: Sie haben heute eigentlich noch einen draufgesetzt.

(Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja!)

Erst waren es die Ärzte; jetzt haben die Rechtsanwälte noch einen draufgekriegt. Ich frage Sie: Hat es in Ihrem Ministerium jemals eine Untersuchung darüber gegeben, in welchem psychischen und medizinischen Zustand Flüchtlinge nach Deutschland kommen und welche medizinische Hilfe geleistet werden müsste?

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Hat es eine solche Untersuchung jemals gegeben?

Stattdessen beziehen Sie sich hier auf irgendwelche Zahlen, die 2011 in NRW erhoben wurden, und sagen, sie widersprechen jeder Lebenserfahrung. Wissen Sie, was ich glaube? Flüchtlinge, die aus dem Krieg kommen, die jahrelang Gewalt und Verfolgung erlebt haben, sind oft krank und häufig traumatisiert. Man kann sie gar nicht mit uns vergleichen, sondern man muss sie ganz speziell sehen. Man muss ihre Geschichte sehen. Man muss sehen, was sie erlitten und erlebt haben. Wir als Linke fordern, dass Sie das endlich berücksichtigen.

Ich will hier noch einmal daran erinnern – viele Menschen wissen das gar nicht -: Flüchtlinge, Schutzsuchende in diesem Land haben nur Anspruch auf eine medizinische Notfallversorgung. Das heißt, sie müssen zur Behörde gehen, um einen Krankenschein zu erhalten und zum Arzt gehen zu können. Das heißt, sie stehen vor hohen bürokratischen Hürden. Die Bundeskanzlerin hat die Gesundheitskarte erst angekündigt und diese Ankündigung dann nicht erfüllt. Das wäre doch das Mindeste: eine Gesundheitskarte für alle Flüchtlinge, damit sie unbürokratisch zum Arzt gehen können

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

und man sie nicht permanent drangsaliert; das ist gerade auch, was ihre Situation angeht, wichtig. Die Dokumentationsstelle der Antirassistischen Initiative hier in Berlin zum Beispiel dokumentiert Jahr für Jahr Abschiebefälle. Ganz aktuell gibt es Fälle, da wird einem angst und bange. Ein Beispiel ist der Fall eines Flüchtlings aus Niger. Er hatte eine Bauchoperation, hatte Schmerzen, seine Wunde war nicht verheilt. Trotzdem hat man ihn 14 Tage später in diesem Zustand abgeschoben. Pro Asyl berichtet über diverse Fälle, zum Beispiel von einer schwer traumatisierten Frau, die in psychotherapeutischer Behandlung war. Der Facharzt hat geraten, sie nicht abzuschieben. Sie wurde trotzdem abgeschoben. Vielleicht sollten wir uns wirklich einmal mit solchen Fragen beschäftigen statt immer nur damit, wie man möglichst schnell, schnell, schnell alle Leute aus diesem Land abschieben kann, Herr Minister.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich will noch einmal darauf hinweisen: Gerade mit dem Asylpaket II haben Sie weitere Verschärfungen in diesem Bereich vorgenommen. Zum Beispiel muss innerhalb von zwei Wochen ein fachliches Gutachten von einem Flüchtling oder einem Schutzsuchenden besorgt werden, damit er einen Beleg hat, dass er nicht abgeschoben werden darf. Ich bin fest davon überzeugt, dass weder privilegierte Privatversicherte geschweige denn irgendjemand von den MdBs aus diesem Raum innerhalb von zwei Wochen ein medizinisches Fachgutachten bekommen kann. Ich halte es wirklich für einen Skandal, dass Sie solche Auflagen in Gesetze geschrieben haben. Hier haben Flüchtlinge nicht einmal mehr die Möglichkeit, sich zu wehren.

(Beifall des Abg. Harald Weinberg (DIE LINKE))

Bei einem weiteren Punkt sieht es nicht anders aus: Psychologische Gutachten dürfen nicht mehr als Beleg für ein Abschiebehindernis verwendet werden. Dagegen protestieren zum Beispiel Verbände. Das interessiert Sie aber gar nicht. Sie machen weiterhin eine Politik, die unmenschlich ist, die den Bedürfnissen der Flüchtlinge wirklich nicht gerecht wird und die vor allen Dingen nicht in ihrem Interesse ist.

Kranke und traumatisierte Flüchtlinge brauchen besonderen Schutz. Das hat die Linke immer wieder gefordert. Wir brauchen endlich eine Gesundheitskarte. Wir brauchen die Standards, die die EU-Aufnahmerichtlinie für kranke und traumatisierte Flüchtlinge festgeschrieben hat. Sie sind oft Opfer von Folter und Gewalt.

Herr Minister, ich habe mir jetzt erspart, noch einmal alle Falschmeldungen, die Sie immer wieder herausgegeben haben, aufzuzählen. Das ist in den Reden hier heute vielfach schon geschehen. Aber ich möchte noch einen Punkt deutlich machen: Es hat eine gewisse Systematik. Sie als Innenminister müssen doch wissen – er ist gar nicht mehr da; doch, er steht da hinten -, was für eine Stimmung in diesem Land vorherrscht.

(Dr. Petra Sitte (DIE LINKE): Eine Unverschämtheit, in der Debatte aufzustehen!)

Diese Stimmung bedienen Sie im Grunde genommen mit Ihren ständigen Unwahrheiten und Lügen, Sie bedienen im wahrsten Sinne des Wortes rassistische Ressentiments.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): Das ist unglaublich! – Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): Es ist eine Frechheit, was Sie sagen! Eine Riesenfrechheit! Hätten Sie geschwiegen! – Max Straubinger (CDU/CSU): Eine Riesenfrechheit!)

Sie machen damit auch Kräfte wie AfD und andere Hetzer gegen Flüchtlinge stark. Das muss endlich ein Ende haben. Deswegen ist heute völlig berechtigt die Forderung nach Ihrem Rücktritt aufgetreten. Wir brauchen einen Innenminister, der Feingefühl hat und der vor allen Dingen gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit angeht und sie nicht permanent mit anheizt.

Danke schön.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: Das ist eine bodenlose Frechheit!)