Dass der Militärputsch in der Türkei gescheitert war, ist erst einmal eine gute Nachricht. Mit Panzern und Bomben lässt sich keine Demokratie schaffen. Das hat gerade die türkische Geschichte oft genug beweisen. Doch ein Sieg der Demokratie – wie jetzt von Erdogan und auch westlichen Regierungen und Medien behauptet – ist die Niederlage der Putschisten leider nicht.
Erdogan scheint vorher über die Putschpläne einer isolierten Gruppe von Offizieren informiert gewesen sein. Doch er hatte entschieden, nicht gegen sie vorzugehen, sondern sie gegen die Wand laufen zu lassen, um den Putschversuch zu seinem eigenen Vorteil zu verwandeln.
Im Namen der „Rettung der Demokratie“ finden jetzt anhand offensichtlich lange vorbereiteter schwarzer Listen Massenverhaftungen und „Säuberungen“ des Staatsapparates von jeglichen Erdogan-Kritikern statt. Über 6000 wurden bereits inhaftiert, über 9000 Beamte entlassen. Auf der Straße rufen radikale Islamisten nach der Scharia. Erdogan kündigte die Wiedereinführung der Todesstrafe an. Es gab bereits mehrere Fälle von Lynchjustiz an jungen Wehrpflichtigen. Faschisten und Dschihadisten machen Jagd auf Aleviten, Kurden und Linke. Wer jetzt die Bilder der misshandelten mutmaßlichen Putschgeneräle sieht, kann sich ausrechnen, wie es erst einem in die Hände der Sicherheitskräfte geratenen kurdischen Bauern oder einem linken Aktivisten ergehen muss.
Bundeskanzlerin Angela Merkel erklärte angesichts des Putsches, das Volk müsse selbst in freien Wahlen über seine Regierung entscheiden und Panzer gegen die eigene Bevölkerung seien Unrecht. So richtig diese Aussage ist, so heuchlerisch kommt sie nun daher. Denn bereits im vergangenen Sommer erklärte Erdogan die Parlamentswahlen vom Juni, die seiner AKP die absolute Mehrheit gekostet und die linke prokurdische HDP mit 13 Prozent ins Parlament einziehen ließen, zu einem „Fehler“. Doch damals beklagte Merkel keine Missachtung des Wählerwillens. Um diesen „Fehler“ bei Neuwahlen zu korrigieren, setzte Erdogan auf Krieg gegen die Kurden, mit denen zuvor noch über eine Friedenslösung verhandelt worden war. Als Panzer Cizre, Sirnak, Silvan, Nusaybin, Diyarbakir-Sur und andere kurdische Städte im Südosten der Türkei in Ruinen schossen und die Armee dort hunderte Zivilisten tötete, sprach Bundeskanzlerin nicht von „Unrecht“. Auch als im Mai die Immunität von 138 Parlamentsabgeordneten entzogen wurde, so dass jetzt insbesondere den HDP-Abgeordneten ihre Verhaftung droht, protestierte Merkel nicht dagegen.
Die Bundesregierung erklärt jetzt, die Wiedereinführung der Todesstrafe in der Türkei müsste zum sofortigen Ende der EU-Beitrittsgespräche führen. Eine solche Konsequenz legte die Bundesregierung in den letzten Monaten nicht an den Tag, obwohl insbesondere in den kurdischen Landesteilen nahezu täglich Menschen ohne formelle Einführung der Todesstrafe extralegal hingerichtet wurden und werden. Kein Wort der Kritik war zu vernehmen, als im Februar über 150 schutzsuchende Zivilisten in Kellern in Cizre von Sicherheitskräften lebendig verbrannt wurden oder Frauen und Kinder von Scharfschützen der erschossen wurden.
Um eine Präsidialdiktatur mit ihm als absoluten Herrscher zu errichten, hat Erdogan allen Sektoren der Gesellschaft, die seinen Diktaturplänen im Wege stehen, den Krieg erklärt. Oppositionelle, auch bürgerliche, Zeitungen werden dichtgemacht, Journalisten wie der mutige Can Dündar zu Haftstrafen verurteilt, Menschenrechtsaktivisten wie der Präsident der Anwaltskammer von Diyarbakir Tahir Elci erst von der AKP-Presse medial zum Abschuss freigegeben und dann von den Kräften des „tiefen Staates“ ermordet.
Der wirkliche Putschist ist Erdogan! Er muss jetzt in seinem Amoklauf gegen Demokratie und Menschenrechte gestoppt werden!
Der schmutzige Flüchtlingsdeal mit Erdogan muss sofort beendet werden! Alle Pläne von Bundesregierung und EU, die Türkei zu einem sicheren Herkunftsstaat zu erklären, müssen angesichts der jetzigen Massenverhaftungen und des Terrors gegen Oppositionelle und Minderheiten sofort vom Tisch.
Schluss mit den EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei!
Die Demokratinnen und Demokraten, die freie Presse, die Arbeiterbewegung, religiöse Minderheiten wie die Aleviten und die kurdische Freiheitsbewegung in der Türkei brauchen jetzt mehr denn je unsere Solidarität. Lassen wir sie nicht allein mit dem Diktator Erdogan!