Aus: junge Welt Ausgabe vom 28.09.2016
Seit 2005 heißt der Bundesgrenzschutz Bundespolizei. Die mit immer mehr Kompetenzen ausgestattete Truppe nimmt umfangreiche sonderpolizeiliche Aufgaben wahr
Eigentlich dürfte es die Bundespolizei gar nicht geben. Die westlichen Alliierten ließen 1948 den Parlamentarischen Rat ins Grundgesetz schreiben, dass Polizei Sache der Länder sei. Einzig zum Zweck, den Personen- und Güterverkehr »bei der Überschreitung der Bundesgrenzen« zu überwachen, dürfe der Bund eine Polizei aufstellen – folgerichtig »Bundesgrenzschutz« (BGS) genannt. Im Laufe seiner Geschichte wurde dessen Auftrag erheblich ausgedehnt.
Im Kalten Krieg war der BGS eine paramilitärische Truppe, deren Angehörige mit Panzerwagen und Granatwaffen ausgestattet waren und bis 1994 Kombattantenstatus hatten. Das Führungspersonal wurde größtenteils von der Wehrmacht übernommen. 1968 erhielt der BGS im Rahmen der Notstandsgesetze für den Spannungs- und Verteidigungsfall weitreichende Kompetenzen im Inneren. 1972 ging aus ihm die Antiterroreinheit GSG 9 hervor. Deren damaliger Kommandeur benannte als Vorbild seiner Eliteeinheit ganz offen eine Spezialeinheit der Wehrmacht, die »Division Brandenburg«, deren »Korpsgeist« und »Raffinesse« er nacheifern wollte.
Nach dem Bedeutungsverlust der deutschen Außengrenzen wurde der BGS nicht etwa abgeschafft, sondern mit erweiterten Kompetenzen ausgestattet: 1992 wurde die Bahnpolizei in den Grenzschutz integriert, der seither für Straftaten im Bahnbereich zuständig ist; seit 1994 darf er in einer 30-Kilometer-Zone entlang der Grenzen auch verdachtsunabhängige Personenkontrollen durchführen; 1998 wurde der BGS mit dem Schutz von Regierungsgebäuden beauftragt, seit vorigem Jahr schützt er auch die Bundesbank.
Im Juli 2005 erfolgte die Umbenennung in Bundespolizei. Eigenständige Einsätze darf sie nur im Bahn- und Grenzbereich durchführen, was etwa Anti-Castor-Demonstranten oder Fußballfans bei ihrer Anreise bisweilen schmerzlich zu spüren bekommen. Außerdem springen Hundertschaften der Bundespolizei immer wieder bei Großdemonstrationen als Hilfstruppe für die Länder ein.
Melodie und Rhythmus
Einen Großteil ihrer Arbeit widmet die Bundespolizei nach wie vor der Kontrolle an den Grenzen. Im vergangenen Jahr leitete sie gegen jeden Geflüchteten, der ohne gültige Papiere einreist, ein Strafverfahren ein, mehr als 217.000mal im vergangenen Jahr. Zudem hat die Bundespolizei in diesem Zeitraum in der 30-Kilometer-Zone sowie in grenzüberschreitenden Zügen rund drei Millionen Kontrollen durchgeführt, und selbstverständlich spielt sie eine wichtige Rolle bei Abschiebungen.
Im Namen des »Kampfes gegen den Terror« wird die Truppe weiter aufgerüstet. So trainiert sie bei Übungen gemeinsam mit ausländischen Spezialeinheiten, darunter auch paramilitärischen Gendarmerieverbänden, die Bewältigung militärischer Szenarien. Die GSG 9 wurde zudem inzwischen noch um die sogenannten BFE plus (»Beweissicherungs- und Festnahmeeinheiten«) aufgestockt – deren 250 Beamte sollen es mit schwerbewaffneten Terroristen aufnehmen können. Der Trend zum Bundeswehreinsatz im Inland korrespondiert hier mit der Militarisierung der Polizei.
Einen festen Sitz hat die Bundespolizei in den gemeinsamen Gremien, die ebenfalls »gegen den Terrorismus« mit sämtlichen Landespolizeibehörden, Verfassungsschutzämtern, Bundesnachrichtendienst und Militärischer Abschirmdienst gegründet wurden.
Schließlich erfüllt die Bundespolizei eine wichtige außenpolitische Rolle: Gemeinsam mit Länderpolizisten nimmt sie an UN- oder EU-Missionen teil. Diese finden meist parallel zu Militäreinsätzen in Ländern statt, in denen ein (Bürger-)Krieg herrscht oder gerade beendet wurde – etwa Afghanistan, Südsudan oder Kosovo.
Die letzte Erweiterung der Befugnisse erfolgte in diesem Sommer. Die Bundespolizei darf jetzt auch verdeckte Ermittler gegen Schleuser einsetzen. Aus der »Ausnahme«-Truppe ist längst ein fester Teil des Repressionsapparates geworden.