Bundesregierung will Rechte Geflüchteter weiter aushöhlen. Bisher war für einige nach acht Jahren ein Antrag auf dauerhaften Aufenthalt möglich
von Ulla Jelpke (erschienen in junge Welt 19.10.16)
Die Bundesregierung will die Rechte geflüchteter Menschen erneut einschränken. Konkret geht es diesmal um die Einführung einer »Duldung zweiter Klasse« für die Gruppe der sogenannten Geduldeten. Als solche gelten Migranten, deren Asylbegehren abgelehnt wurde, deren Abschiebung aber aus humanitären oder administrativen Gründen nicht möglich ist. Dies gilt zum Beispiel für Familien mit Kleinkindern, Schwangere sowie für Geflüchtete, die keine Reisepapiere erhalten.
Geduldete erhielten bislang nach drei Monaten eine mit starken Einschränkungen verbundene Arbeitserlaubnis sowie nach 15 Monaten Anspruch auf Sozialleistungen. Zudem unterlagen sie nach drei Monaten keiner Beschränkung auf einen Landkreis durch die Residenzpflicht mehr. Viele Geflüchtete wurden Jahre, wenn nicht sogar mehr als ein Jahrzehnt, im weitgehend rechtlosen Status der Duldung »eingefroren«.
Bleibeperspektive weg
Die Bundesregierung will ihnen nun auch noch einen Großteil dieser wenigen Rechte nehmen. Nach Angaben der Hilfsorganisation Pro Asyl hat das Bundesinnenministerium vergangene Woche einen entsprechenden Gesetzentwurf der Bundesregierung mit dem Titel »Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht« in die Ressortabstimmung der Ministerien gebracht. Neben der bisherigen Duldung soll es eine neu eingeführte Bescheinigung über die »vollziehbare Ausreisepflicht« geben. Während Geduldete bislang noch nach acht Jahren einen Antrag auf einen dauerhaften Aufenthalt stellen konnten, soweit sie über das nötige Einkommen und ausreichende Sprachkenntnisse verfügten, soll »vollziehbar Ausreisepflichtigen« jegliche Bleibeperspektive genommen werden. Sie sollen keinen Zugang zu Integrationskursen und ein generelles Ausbildungs- und Arbeitsverbot erhalten. Die »Aussicht auf ein Aufenthaltsrecht«, so heißt es in der Begründung, soll auch nicht durch eine Berufsausbildung entstehen.
Einerseits behauptet die Bundesregierung in der Einleitung des Gesetzesentwurfs, dass es erforderlich sei, »eine Differenzierung vorzunehmen und die Duldung nur noch denjenigen Ausländern zu gewähren, deren Abschiebung unmöglich ist, weil sie die Unmöglichkeit ihrer Abschiebung nicht verschuldet haben bzw. sie ihnen nicht zuzurechnen ist«. Andererseits erklärt sie im gleichen Papier: »Ebenso erhält künftig keine Duldung mehr, wessen Herkunftsstaat keinen Passersatz ausstellt, obwohl es sich um einen seiner Staatsangehörigen handelt.« In der Vergangenheit haben sich zum Beispiel mehrere afrikanische Staaten, aber auch Afghanistan, häufig geweigert, ihre Staatsbürger zurückzunehmen, weil sie sich davon überfordert fühlten. Künftig sollen Geduldete für ein solches Verhalten ihrer Regierungen sanktioniert werden, obwohl sie es gar nicht beeinflussen können.
Ohne Vorwarnung
Hinzu kommen im Entwurf weitere Verschärfungen, die mit dem rechtsstaatlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit kollidieren. So ist vorgesehen, Abschiebungen selbst dann nicht mehr vorher anzukündigen, wenn die Betroffenen über Jahre hinweg geduldet wurden. Geduldete, das sind häufig Familien mit Kindern, müssten dann in der permanenten Angst vor Abschiebung leben. Abschiebehaft kann künftig schon verhängt werden, wenn Geduldete einen Behördentermin nicht wahrnehmen. Weitere neue Haftgründe im Rahmen der Abschiebung wie »eine oder mehrere vorsätzliche Straftaten«, die Einschätzung als »Gefährder« oder mangelnde Mitwirkung runden das Bild ab.
Pro Asyl erklärte zu dem Gesetzesvorhaben: »Mit dem geplanten Entwurf stünde die lange diskutierte und mühsam erreichte Bleiberechtsregelung weiter auf dem Papier, ein Aufenthaltsstatus wäre aber für einen Großteil der potenziell betroffenen Menschen nicht mehr in der Praxis erreichbar.«
Die Bundesregierung will mit ihrem Gesetzentwurf dem aus ihrer Sicht durch Bleiberechtsregelungen entstandenen Eindruck entgegenwirken, dass »es sich bei der Gruppe der Geduldeten nur um Ausländer handeln würde, deren Abschiebung unverschuldet nicht möglich ist«. Damit ist das Ziel einer weiteren Stigmatisierung und Ausgrenzung deutlich benannt.