In Bremen wurde eines im Kampf gegen den IS gefallenen Peschmerga gedacht
Erschien in junge Welt vom 8.11.16
Rund tausend Menschen – mehrheitlich Kurden aus unterschiedlichen politischen Strömungen einschließlich vieler alter Kampfgefährten – erwiesen Sait Cürükkaya am Sonnabend auf einer bewegenden Trauerfeier in Bremen die letzte Ehre. Der in Hamburg lebende Peschmerga, der sich an der Offensive zur Befreiung der nordirakischen Stadt Mossul vom »Islamischen Staat« (IS) beteiligt hatte, war dort vorletzte Woche durch eine Sprengfalle tödlich verwundet worden. »Wir trauern um einen großen und mutigen Menschen«, würdigte der Vorsitzende der Kurdischen Gemeinde, Ali Ertan Toprak, den Einsatz Cürükkayas für Freiheit, Demokratie und die Rechte der Kurden.
Unter Kurden war der 1968 in der Provinz Bingöl im Osten der Türkei geborene Cürükkaya unter seinem Kampfnamen Dr. Süleyman bekannt. Nach Abbruch eines Medizinstudiums schloss sich Cürükkaya als 22jähriger der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) an. 1989 verschleppten ihn die Militärs und folterten ihn. Nach seiner Freilassung kämpfte Cürükkaya in der Guerilla und stieg zum Kommandanten auf. Doch im Dezember 1999 sprach er sich gegen eine Fortsetzung des bewaffneten Kampfes aus und überwarf sich mit dem PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan. Von der PKK zum Parteifeind erklärt, floh er in den Nordirak. Doch als ihm dort eine Auslieferung an die Türkei drohte, flüchtete er 2001 nach Deutschland, wo er umgehend politisches Asyl erhielt. Am Hamburger Studienkolleg studierte er Sozialwissenschaften. Dort wurde er 2004 aufgrund eines internationalen Haftbefehls der Türkei von 15 Polizisten aus dem Unterricht heraus fest- und in Auslieferungshaft genommen. Aufgrund der neuen Antiterrorgesetze wurde ihm die Asylberechtigung wieder aberkannt. Obwohl sich Cürükkaya lediglich bei den Grünen politisch engagiert hatte, unterstellten ihm die Behörden eine Nähe zum Terrorismus aufgrund seiner früheren Position in der PKK sowie seiner Kritik am »gemäßigten neuen Kurs der PKK«. Unter strengen Auflagen kam Cürükkaya nach sechs Wochen frei, im folgenden Jahr wurde die Auslieferung für unzulässig erklärt.
In Hamburg machte sich Cürükkaya, der später die deutsche Staatsbürgerschaft erhielt, als Betreiber einer Wäscherei selbständig. Doch als der IS im Sommer 2014 zuerst die irakische Stadt Mossul einnahm und dann mit einer Offensive gegen die von kurdischen Jesiden bewohnte Region Sengal (arabisch Sindschar) begann, beschloss Cürükkaya, sein militärisches Wissen aus seiner Zeit als Guerillakämpfer zur Ausbildung von Peschmerga-Kämpfern in der kurdischen Autonomieregion im Nordirak zu nutzen. Schwerpunkt seiner Tätigkeit war der Aufbau eines Freiwilligenteams zur Entschärfung von Minen und Bomben. Eigenhändig entschärfte Cürükkaya Tausende Sprengfallen, die die Dschihadisten in den von ihr wieder aufgegebenen Dörfern in Wohnhäusern unter Betten, hinter Türen oder getarnt als Spielzeug hinterlassen hatten. Unter den kurdischen Milizen war er daher bekannt als »der Retter des Lebens von Hunderten Peschmerga«.
Am 26. Oktober stieg Cürükkaya im Dorf Fasilija bei Baschika nahe der Stadt Mossul in einen vom IS angelegten Tunnel, um Bomben zu entschärfen. Als einer der Sprengsätze zündete, erlitt er lebensgefährliche Verletzungen am Kopf und Oberkörper. Mit einer Bundeswehrmaschine wurde der Peschmerga zur medizinischen Behandlung nach Deutschland ausgeflogen, wo er drei Tage später im Koblenzer Bundeswehrkrankenhaus seinen schweren Verwundungen erlag. Sait Cürükkaya soll auf Wunsch seiner Familie in seinem Heimatort in Bingöl beerdigt werden.
»Der IS kämpft nicht nur mit Gewehren und Raketen, sondern mit Bomben, Minen und Sprengfallen. Die Kurden verfügen nicht über ausreichende Ausbildung, um diese Bomben und Minen zu entschärfen«, beklagte Cürükkaya einen Tag vor seiner tödlichen Verwundung auf seiner Facebook-Seite und appellierte an die Anti-IS-Koalition, dringend Minen- und Bombenexperten an die Front zu entsenden. »Der Erfolg in Mossul wird davon abhängen«, zeigte sich Cürükkaya überzeugt.