Rede: Sofortiger Abschiebestopp nach Afghanistan!

Rede zu TOP 32 der 210. Sitzung des Deutschen Bundestages am Freitag, dem 16.12. 2016.

 

Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses (4. Ausschuss)

– zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, Sevim Dağdelen, Frank Tempel, weiterer Abgeordneter und

der Fraktion DIE LINKE.

Abschiebestopp und Schutz für Flüchtlinge aus Afghanistan

– zu dem Antrag der Abgeordneten Luise Amtsberg, Omid Nouripour, Tom Koenigs, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Schutz für Flüchtlinge aus Afghanistan

Drucksachen 18/6869, 18/6774, 18/7974

 

Vizepräsidentin Petra Pau:

Das Wort hat die Kollegin Ulla Jelpke für die Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)

Ulla Jelpke (DIE LINKE):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Mayer, diese Abschiebung hier auch noch als humanitär zu verkaufen, ist in menschenrechtlicher Hinsicht wirklich eine Grausamkeit –

(Lachen des Abg. Tankred Schipanski (CDU/CSU) – Tankred Schipanski (CDU/CSU): Das sagen Sie!)

und das auch noch vor Weihnachten.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es ist wirklich unerträglich.

Meine Damen und Herren, man muss sich das einfach mal vorstellen: Nur einen Tag nach dieser Abschiebung hat der Bundestag hier ein weiteres Mal den Kriegseinsatz in Afghanistan verlängert. Das ist doch schon ein Beweis dafür, dass die Lage in Afghanistan keineswegs sicher ist.

(Beifall bei der LINKEN)

Zu den Abgeschobenen gehören auch Menschen, die hier seit Jahren integriert waren.

(Henning Otte (CDU/CSU): Unverschämt, dieser Ausdruck! – Gegenruf von der LINKEN: Ruhe!)

Familien und Arbeitsplätze hatten sie hier. In Baden-Württemberg wurde beispielsweise ein suizidgefährdeter Afghane aus der Psychiatrie herausgeholt. In Hamburg wurde ein Hindu, dem in Afghanistan schwere Verfolgung droht, abgeholt und abgeschoben. Das alles zeigt, wie brutal und menschenfeindlich diese Abschiebeaktion war.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Für uns ist ganz klar: Abschieben in Kriegsländer geht gar nicht.

(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Luise Amtsberg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Deswegen beantragen wir heute hier den Abschiebestopp für Flüchtlinge aus Afghanistan.

Meine Damen und Herren insbesondere von der Union, Anfang März dieses Jahres hat die EU-Kommission in einem internen Papier davon gesprochen, es gebe in Afghanistan – ich zitiere – eine „sich verschlechternde Sicherheitslage mit einem Rekordniveau terroristischer Anschläge und ziviler Opfer […] Ungeachtet hiervon müssen möglicherweise über 80 000 Personen in der naher Zukunft zurückgebracht werden“. Diese Absicht haben Sie inzwischen übrigens in zwei Abkommen mit der afghanischen Regierung festgehalten.

Meine Damen und Herren, ungeachtet der Kriegssituation Zehntausende Menschen abschieben zu wollen, das ist wirklich ausgesprochen zynisch. Um die Abschiebung zu legitimieren, redet die Bundesregierung ständig von sicheren Gebieten, die es in Afghanistan angeblich geben soll. Aber das ist nichts weiter als eine Lüge.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Bundesregierung sollte auf ihre eigene Menschenrechtsbeauftragte hören, die nämlich auch sagt: Es gibt dort keine sicheren Regionen. Interessant ist übrigens, dass die Abschiebungen selbst in der AfD umstritten sind. Hier will der Innenminister ganz offensichtlich die Rechtspopulisten noch rechts überholen.

(Beifall bei der LINKEN – Tankred Schipanski (CDU/CSU): Da zeigt sich wieder, wo ihr steht! Seite an Seite mit der AfD!)

In einer Antwort auf eine unserer Kleinen Anfragen ist der Innenminister sogar so weit gegangen, die Taliban in Afghanistan zu verharmlosen, indem man sie als Zeugen anführt. Ich zitiere wieder: Die Taliban wollen „zivile Opfer vermeiden“ und die „zivile Infrastruktur schonen“. Die Bundesregierung macht die Taliban zu Kronzeugen ihrer Abschiebepolitik. Da kann man nur sagen: Dafür sollten Sie sich schämen. Ich finde es wirklich einen Riesenskandal.

(Beifall bei der LINKEN)

Um Sie noch eines Weiteren zu belehren. Im nichtöffentlichen Lagebericht des Auswärtigen Amtes steht,

(Sibylle Pfeiffer (CDU/CSU): Nichtöffentlich!)

die Taliban würden „ohne Rücksicht auf Zivilisten“ vorgehen; das ist wieder ein Zitat.

(Sibylle Pfeiffer (CDU/CSU): So viel zum Thema „nichtöffentlich“!)

Die UN-Mission in Afghanistan hat alleine im ersten Halbjahr dieses Jahres 1 601 Opfer gezählt und 3 565 Verletzte. 23 Prozent dieser Opfer – um Ihnen das einmal deutlich zu sagen – sind durch afghanische Sicherheitskräfte und ihre Verbündeten verursacht; sie haben diese Opfer zu verantworten. Über diese afghanischen Sicherheitskräfte ist im Lagebericht des Auswärtigen Amtes zu lesen – ich zitiere wieder -: „In weiten Teilen Afghanistans, vor allem in den Rängen von Armee und Polizei […] ist der sexuelle Missbrauch von Kindern und Jugendlichen nach wie vor ein großes Problem.“ Den Tätern fehlt jedes Unrechtsbewusstsein. – Trotzdem haben Sie in dem Abkommen festgelegt, dass auch Minderjährige abgeschoben werden. Sie wissen ganz genau, dass gerade Minderjährige unter dem Zugriff der Warlords stehen, die sie in der Vergangenheit zu Kriegsdiensten zwangsrekrutiert haben. In meinen Augen ist es einfach nur widerlich, dass man so etwas in ein Abkommen hineinschreibt und Jugendliche abschiebt.

(Beifall bei der LINKEN)

Interessant ist auch, dass die Anerkennungsquote bei afghanischen Flüchtlingen im vergangenen Jahr bei 77,6 Prozent lag. Jetzt plötzlich liegt sie nur noch bei 50 Prozent. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ist vom Bundesinnenministerium mit politischen Vorgaben belegt worden. Man will offensichtlich die Afghanen abschrecken und daran hindern, hierher zu kommen. Auch das ist nicht hinnehmbar.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich sage es zum Schluss noch einmal: Die Bundesregierung muss endlich aufhören, mantraartig das Trugbild von sicheren Zonen in Afghanistan zu beschwören. In Afghanistan herrscht Krieg. Alle Kriegsparteien verursachen Tausende von Toten. Man darf in dieses Land nicht abschieben, und deswegen fordern wir den Abschiebestopp.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)