Artikel: Zurück in den Krieg

Erste Sammelabschiebung nach Afghanistan. Regierung verharmlost Gefährdungslage, Taliban als Kronzeugen inhumaner Flüchtlingspolitik

 

Von Ulla Jelpke (erschienen in der jungen Welt am 16.12.2016)

 

Kurz bevor der Bundestag am heutigen Donnerstag der Verlängerung des Afghanistan-Einsatzes der Bundeswehr zustimmen wird, startete am Mittwoch abend der erste Sammelabschiebeflug an den Hindukusch – ausgerechnet aus dem von CDU und Grünen regierten Bundesland Hessen. Verantwortlich dafür sind die ebenfalls »schwarz-grüne« Landesregierung Baden-Württembergs, Hamburgs Regierung aus SPD und Grünen sowie der Freistaat Bayern.

Mit dem Flug, nach Angaben des Berliner Flüchtlingsrates mit Hilfe der EU-Grenzagentur Frontex koordiniert, sollten 50 Flüchtlinge abgeschoben werden – einige von ihnen gegen ihren Willen, andere »freiwillig«. Wurden bislang ausschließlich verurteilte Straftäter nach Afghanistan transportiert, gibt es solche Einschränkungen künftig nicht mehr. Unter den Passagieren des Abschiebefliegers war nach Angaben des Flüchtlingsrats Bayern mit hoher Wahrscheinlichkeit auch der schwerkranke Mohammed Z., der aus einer psychiatrischen Klinik geholt wurde, in die er wegen eines Suizidversuchs eingewiesen worden war.

Um ihre Abschiebepolitik zu legitimieren, versucht die Bundesregierung systematisch, die Lage in Afghanistan zu beschönigen. So verharmloste sie in ihrer Antwort auf eine kleine Anfrage der Linksfraktion vor wenigen Wochen die Rückkehr der Taliban nach Kundus als »mögliche zeitweise Verschlechterung der Sicherheitslage«. Schon zuvor hatte sie behauptet, die Taliban-Führung habe ihre Kämpfer »glaubhaft und eindeutig angewiesen, zivile Opfer zu vermeiden«. Während in der öffentlichen Darstellung die »Gotteskrieger« zu Kronzeugen der deutschen Abschiebepolitik werden, steht in einem – nicht öffentlichen – Lagebericht des Auswärtigen Amtes genau das Gegenteil: Die Taliban würden »ohne Rücksicht auf Zivilisten« vorgehen. Dabei sind sie allerdings nicht die einzigen: 23 Prozent der zivilen Opfer sind von afghanischen Sicherheitskräften, mit ihnen verbündeten Milizen oder NATO-Truppen verursacht worden. Das liege, heißt es im vertraulichen Bericht, an den intensiver gewordenen Bodenkämpfen.

Die Linksfraktion sprach von einem menschenrechtlichen Skandal. Die flüchtlingspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Bundestag, Luise Amtsberg, bezeichnete die Abschiebeaktion als »verantwortungslos«, weil sie das Leben und die Unversehrtheit der Betroffenen gefährde. Der Bundestag wird am Freitag über einen Antrag der Linksfraktion auf einen sofortigen Abschiebestopp nach Afghanistan abstimmen. Gegenwärtig leben in Deutschland rund 12.500 afghanische Staatsbürger, die als ausreisepflichtig gelten. Weit über 100.000 warten derzeit noch auf die Entscheidung über ihre Asylanträge. Für sie, wie auch potentiell weitere Flüchtlinge in Afghanistan, soll dies als Abschreckungsszenario gelten. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat seine Entscheidungspraxis bereits an die politischen Vorgaben angepasst: Trotz der sich permanent verschlechternden Sicherheitslage in Afghanistan sank die Schutzquote von 77,6 Prozent im Jahr 2015 auf 52,1 Prozent im dritten Quartal 2016.

Die 50 Abgeschobenen von Mittwoch zählen jetzt zu den 1,2 Millionen Binnenflüchtlingen, die sich an den Rändern der afghanischen Städte in Slums oder in Flüchtlingslagern durchschlagen. Die Strukturen der Flüchtlingshilfe dort sind völlig überlastet. Die magere Hilfe für Rückkehrer – auch das steht im Geheimbericht des Außenministeriums – kommt häufig nicht dort an, wo sich diese aufhalten.